Zeitarbeitsbestimmungen unter juristischer Lupe
Nicht immer herrscht „Friede, Freude, Eierkuchen“ am Arbeitsplatz – wenn´s eskaliert, kann unterm Strich im schlimmsten Fall auch eine Kündigung stehen. Darüber wird dann oftmals vor Gericht gestritten. Die aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsrecht, insbesondere zur verhaltensbedingten Kündigung stellte Dr. Mario Eylert, Vorsitzender Richter des 4. Senats am Bundesarbeitsgericht a.D., beim Potsdamer Rechtsforum des iGZ vor.
Rund 200 Teilnehmer erfuhren unter anderem, dass das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden könne, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Verletzung der Arbeitspflicht und Arbeitszeitbetrug thematisierte er dabei ebenso wie die Arbeitsverweigerung – auch unter dem Aspekt der Sonderregelungen zur Coronazeit.
"vorübergehend"
„Kammertheater zur Überlassungshöchstdauer: Das BAG ist am Zug! Oder schließt der EuGH den Vorhang vorher?“ nannte Dr. Guido Norman Motz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, seinen Beitrag. Mit einem Blick zurück erinnerte er daran, dass die Beschränkung der Überlassungsdauer immer wieder mal Thema in der Zeitarbeitsbranche war. Einer der Hauptstreitpunkte in der Diskussion sei nach wie vor die Definition des Begriffs „vorübergehend“ und die damit verbundene Frage, welche Zeitdauer als vorübergehend zu verstehen sei. Motz wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung durch den Tarifvertrag der Einsatzbranche durchaus zulässig sei.
Grenzen der Abweichung
Wer am Potsdamer Rechtsforum teilnimmt, kann auch immer viele wertvolle Tipps für die tägliche Arbeit im Büro mitnehmen: Dr. Oliver Bertram, Taylor Wessing Düsseldorf, Fachanwalt für Arbeitsrecht, stellte die „Grenzen der Abweichung vom iGZ-Tarifvertrag – Praxistipps zur Gestaltung von Arbeitsverträgen“ vor. Nach einem Exkurs zu den gesetzlichen Grundlagen präsentierte der Experte die Regelungen auf Basis des Tarifvertrages:
Arbeitsbedingungen,
„Soweit ein Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweicht, hat der Zeitarbeitgeber dem Zeitarbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung des Tarifvertrages vereinbaren“, verdeutlichte Bertram. Neben der Inbezugnahmeklausel thematisierte der Jurist unter anderem auch mögliche vertragliche Gestaltungen dazu.
Ausschlussfristen
Abschließend äußerte er sich zu den Ausschlussfristen und empfahl: Individualvertragliche Ausschlussfristen müssen, so Bertram, für den Mitarbeiter günstiger sein als die tarifvertraglichen. Anderenfalls greife die Unwirksamkeits-Rechtsprechung. Um dies sicherzustellen, sollten laut Jurist die Ausschlussfristenklausel aufgespalten werden in eine Regelung für Mitarbeiteransprüche und eine für Arbeitgeberansprüche; die Ausschlussfrist für Mitarbeiteransprüche gegenüber der tariflichen Frist verlängert, die des Arbeitgebers verkürzt werden; die von der Rechtsprechung geforderten Ausnahmen von der für den Mitarbeiter geltenden Ausschlussfrist transparent aufgenommen werden und etwaige Ansprüche aufgrund vorsätzlichen Handelns – beidseitig – wegen ausgenommen werden.
Aktuelle Themen
Eric Odenkirchen, iGZ-Fachbereichsleiter Arbeits- und Tarifrecht, stellte aktuelle Themen aus der Rechtsberatung vor. Moderiert wurde diese Inforunde – wie die gesamte Veranstaltung auch – von Jens Issel, Leiter der iGZ-Kommunikationsabteilung.
Elektronische Signatur
Dr. Vera Luickhardt, Allen & Overy, Rechtsanwältin, Senior Associate, war zwar nicht „live“ dabei, referierte aber via Internet aus der Ferne über „Digitalisierung und mobiles Arbeiten, was geht noch nach Corona?“. Unter anderem beleuchtete sie die qualifizierte elektronische Signatur bei AÜ-Verträgen und das mobile Arbeiten.
Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit
Im Anschluss debattierten Ass.jur. Mandy Ostermeier, iGZ-Referat Arbeits- und Tarifrecht, Eric Odenkirchen und Guido Norman Motz unter anderem über den Arbeitsschutz beim mobilen Arbeiten. Motz verwies auf den Geheimnisschutz, der deutlich schwieriger zu realisieren sei, wenn man an öffentlichen Plätzen agiere. Auch die digitale Signatur sowie die Aktenführung in der Praxis und die Prüfung der Bundesagentur für Arbeit wurden beleuchtet.
Voraussetzungen abstrakt bestimmen
Prof. Dr. Martin Franzen, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches, internationales Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximillians-Universität München, präsentierte seine Überlegungen zum Vorlagebeschluss des BAG vom 16.12.2020 zum Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer nach Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG. Seiner Meinung nach beurteile sich der Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer nach Maßgabe aller Regelungen des Unionsrechts und des innerstaatlichen Rechts, die auf Zeitarbeitnehmer anwendbar seien. Die Voraussetzungen des Gesamtschutzes der Zeitarbeitnehmer, so Franzen, seien abstrakt zu bestimmen, also ohne Vergleich mit den beim Kunden geltenden Regelungen.
Anwendungsvorrang
Halte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Rechtslage für richtlinienwidrig, führe dies nicht automatisch zum Gleichbehandlungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gelte laut Franzen nur für unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Vorschriften, wozu EU-Richtlinien grundsätzlich nicht gehören.
Überprüfung problematisch
Für die derzeitige Struktur der Arbeitnehmerüberlassung am problematischsten wäre es, wenn der EuGH den deutschen Arbeitsgerichten die Aufgabe zuweisen würde, die für Zeitarbeitnehmer geltenden Tarifverträge auf die „Achtung des Gesamtschutzes“ hin zu überprüfen. Mit einem Schlusswort verabschiedete Eric Odenkirchen schließlich die Teilnehmer des neunten Potsdamer Rechtsforums. (WLI)