Die Zeitarbeit ist ein wichtiges Instrument zur Bewältigung des demografischen Wandels

Die Bevölkerung im Erwerbsalter wird in Deutschland in den nächsten Jahren zunächst dramatisch altern und anschließend schrumpfen. Dies lässt sich exemplarisch am Jahrgang 1964 festmachen – der geburtenstärkste, den es in der Bundesrepublik je gegeben hat. Er umfasst rund 1,4 Millionen Personen. Spätestens 2031 geht er in Rente, wobei die meisten voraussichtlich sogar früher in den Ruhestand eintreten werden. Nehmen wir an, der durchschnittliche Eintritt in das Erwerbsalter erfolgt mit 22 Jahren, dann muss der 1964er Jahrgang durch den Jahrgang 2009 ersetzt werden. Dieser umfasst aber nur etwas mehr als 700.000 Personen. Allein in jenem Jahr kommt es somit zu einer Lücke im Arbeitskräftepotenzial von über 600.000. Man mag die Annahmen für unrealistisch halten, aber auch andere Annahmen ändern am Ergebnis wenig: Bis 2031 schrumpft das Arbeitskräftepotenzial rein demografisch um rund 5 Millionen Personen. 

Dies steckt indes nur den Rahmen des Problems ab, denn diese Lücke ließe sich durch verschiedene Maßnahmen durchaus verkleinern. Erstens kann die Anzahl der Köpfe erhöht werden, indem wir uns zum Beispiel verstärkt um den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland bemühen. Zweitens kann die Anzahl der pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden erhöht werden. Das muss nicht auf eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit hinauslaufen, sondern kann etwa durch eine Reduzierung des Teilzeitanteils oder – besonders wirksam – eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit erreicht werden. Drittens könnte die Wertschöpfung, die in einer Arbeitsstunde erwirtschaftet wird, erhöht werden. Die Arbeitsproduktivität lässt sich allerdings nur bedingt steuern und die Wachstumsraten waren aller Automatisierung zum Trotz in den vergangenen Jahrzehnten eher rückläufig. Doch selbst wenn alle diese Hebel in Gang gesetzt werden sollten, erscheint wenig wahrscheinlich, dass es vollständig gelingen wird, die demografische Lücke zu kompensieren. Deutschland muss sich in den kommenden Jahren auf einen Arbeitskräftemangel einstellen, der über den bislang spürbaren Fachkräftemangel deutlich hinausgeht.

Bei der Abmilderung der Folgen kann die Zeitarbeit eine wichtige Rolle spielen. Ein Grundgedanke der Überlassung von Arbeitnehmern ist das Teilen knapper Ressourcen. Das Prinzip ist das Gleiche wie beim Car-Sharing. Es ist ineffizient, wenn jeder Haushalt ein Auto hat, das die meiste Zeit nur herumsteht. Effizienter ist es, sich Autos zu teilen, so dass immer eines zur Verfügung steht, wenn es benötigt wird. Wenn ein Unternehmen kurzfristig und vorübergehend Arbeitskräfte braucht, kann die Zeitarbeit diese bereitstellen. Anschließend sucht das Zeitarbeitsunternehmen einen anderen Einsatzbetrieb, wo diese Arbeitskräfte dringender benötigt werden. Die knappe Ressource Arbeit – insbesondere solche mit gesuchten Qualifikationen – wird über die Zeitarbeit immer an die Stelle gelenkt, an der sie die höchste Wertschöpfung erbringen kann. Das kann ganz automatisch dadurch erfolgen, dass der Einsatzbetrieb mit der höchsten Wertschöpfung die höchste Vergütung anbietet. Es wäre ineffizient, ein Team von Ingenieuren nach Abschluss eines Projektes mit hoher Wertschöpfung an Aufgaben mit geringerer Wertschöpfung arbeiten zu lassen, nur weil es in einem Betrieb fest eingestellt ist. Effizienter wäre, das Team zieht weiter zu einem Betrieb, der das nächste Projekt mit hoher Wertschöpfung auf die Beine stellt. Die Zeitarbeitsbranche sorgt für eine dauerhafte Beschäftigungsperspektive und die soziale Absicherung der Arbeitnehmer. Risikofreudige Arbeitskräfte können alternativ ein ähnliches Modell auf selbstständiger Basis betreiben.

Das Zeitarbeitsmodell ist sicher kein Allheilmittel für den enger werdenden Arbeitsmarkt. So mag es Beschäftigungsverhältnisse geben, wo betriebsspezifische Kenntnisse eine große Rolle spielen und wo es unwirtschaftlich wäre, Arbeitskräfte stetig auszutauschen. Gleichsam wird nicht jeder Arbeitnehmer ein Modell des stetigen Wechsels wollen. Die Branche kann sich aber in anderen Fällen zu einem Marktplatz für gesuchte Arbeitskräfte entwickeln und damit dazu beitragen, dass knapper werdende Qualifikationen am Arbeitsmarkt optimal genutzt werden.

Über den Autor

Holger Schäfer ist Arbeitsmarktexperte und Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Institut der deutschen Wirtschaft (IW).