Zeitarbeit: Mehr Durchblick für Gregor Gysi
„Ich glaube, Sie leiden an Masochismus – sonst hätten Sie mich nicht eingeladen. Denn wahrscheinlich ahnen Sie bereits meinen Standpunkt zu gewissen Fragen“, eröffnete Dr. Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, in humorvoller Art seinen Vortrag zum Thema „Zeitarbeit, Werkverträge und Co. – Mindestanforderungen für soziale Gerechtigkeit“ beim iGZ-Bundeskongress.
Seine Grundhaltung zur Zeitarbeitsbranche entsprach denn auch dem, was die Partei DIE LINKE regelmäßig publiziert: Zeitarbeit solle auf seine Ursprungsfunktion, Auftragsspitzen abzufedern, reduziert werden. Equal Pay müsse vom ersten Tag an Standard sein. Wegen der größeren Gefahr, arbeitslos zu werden, forderte Gysi einen Lohnzuschlag von zehn Prozent für Zeitarbeitnehmer. Außerdem solle sich die Branche mehr um die Qualifikation der Zeitarbeitnehmer kümmern.
„Nicht für einen Appel und ein Ei“
„In dem letzten Punkt herrscht bereits Konsens, denn daran arbeiten wir als iGZ schon lange“, nahm iGZ-Hauptgeschäftsführer Werner Stolz diesen Punkt im anschließenden Streitgespräch mit Gysi auf. Außerdem gebe es Zeitarbeit schon lange nicht mehr für „einen Appel und ein Ei“. Der Branchenmindestlohn liege weit über dem gesetzlichen Mindestlohn. Branchenzuschläge würden Lohnlücken schließen und sorgten für bis zu 18 Euro Stundenlohn für einfache Helfertätigkeiten. Der iGZ habe zudem einen Ethikkodex verabschiedet, um schwarze Schafe aus dem Verband fernzuhalten. „Wenn Sie all das hören, Herr Gysi, warum möchten Sie die Zeitarbeit dann immer noch abschaffen? Sind Sie in einer Zeitschleife stehengeblieben“, fragte Stolz.
Altersarmut vermeiden
„Ich bin inzwischen 70 Jahre alt, ich darf in einer Zeitschleife stecken“, konterte Gysi amüsiert. Er verstehe, dass Stolz ein anderes Bild von der Zeitarbeitsbranche habe als er. Doch er wurde deutlich: „Wir sind gerade dabei, die Zukunft zu unterschätzen. Die Zeitarbeitsbranche ist zwar weltpolitisch gesehen nur ein kleines Problem – aber trotzdem ist die Zeitarbeit ein Problem!“ Um im Alter nicht in Armut zu leben, müsse ein Beschäftigter mindestens 12,63 Euro verdienen. „Ein aufstockender Leiharbeiter wird also zwangsläufig zum Armutsrentner – das kann keine Perspektive sein“, so Gysi.
Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen
Stolz forderte, die Situation nicht zu einseitig zu betrachten. Er zitierte aus einer Studie, die die Gehälter von Arbeitnehmern während ihrer Zeitarbeitsbeschäftigung mit ihrer vorherigen Beschäftigung verglich. „60 Prozent der Zeitarbeitnehmer verdienen mehr, 30 Prozent gleich viel, nur zehn Prozent bekommen weniger“, so Stolz. Bei der Betrachtung von Durchschnittswerten dürften nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden – und die Zeitarbeitsbranche haben eben viele Besonderheiten, etwa den hohen Anteil an Hilfskräften und ehemals Arbeitsloser.
Erfolgsgeschichte Flüchtlingsintegration
Stolz verwies zudem auf die enorme Integrationsleistung der Zeitarbeitsbranche in der Beschäftigung von Flüchtlingen. Zwei Drittel aller Flüchtlinge, die eine Beschäftigung aufnahmen, fanden diese in der Zeitarbeit. Um diese Erfolgsgeschichte fortzuführen sei es nötig, dass die Vorrangprüfung weiterhin ausgesetzt bleibe. Diese Regelung laufe in Kürze aus. „Können wir in diesem Punkt auf die Unterstützung der Linken setzen?“, fragte Stolz. „Wir werden in Integrationsfragen nicht in erster Linie auf Zeitarbeit setzen“, antwortete Gysi, „aber wir werden auch nicht dagegen sein, wenn es der Integration dient.“ (ML)