Zeitarbeit im Koalitionsvertrag – eine Spurensuche

Es sind nur kurze Passagen, in denen sich der Koalitionsvertrag zur Zeitarbeit äußert, die im Koalitionsvertrag mit dem „technischen“ Begriff aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz als „Arbeitnehmerüberlassung“ bezeichnet wird. Das ist schon der erste Merkpunkt. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2013 war von der „Leiharbeit“ die Rede.

Die Koalitionspartner kündigen an, im Falle einer europäischen Rechtsprechung zu prüfen, ob und welche Änderungen unter Berücksichtigung der Gesetzesevaluierung aufzunehmen sind. Sie nehmen damit Bezug auf drei Vorlageverfahren deutscher Gerichte, die vor dem EuGH anhängig sind. Die Gerichte stellen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Auslegung der EU-Leiharbeitsrichtlinie. Das älteste Verfahren wurde vom LAG-Berlin-Brandenburg bereits im Mai 2020 vor den EuGH gebracht. Es geht darin um den Themenkomplex „Überlassungshöchstdauer“. Im Kern geht es um die Frage, ob der Begriff „vorübergehende Überlassung“, mit der die Zeitarbeit in er Richtlinie charakterisiert wird, auf den Arbeitsplatz zu beziehen ist oder auf die konkrete Person, die überlassen wird. In dem Verfahren liegt bereits der Schlussantrag des so genannten Generalanwalts beim EuGH vor. Der Generalanwalt bejaht den Personenbezug, meint aber, dass zu lange Überlassungen missbräuchlich sein könnten. Ein Anspruch auf Einstellung beim Einsatzbetrieb verneinte der Generalanwalt allerdings. Er bestätigte außerdem das deutsche System der Abweichung von der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten durch Tarifverträge der Einsatzbranche. Hier wird man das Urteil des EuGH abwarten müssen. Da sich der Sachverhalt im Wesentlichen auf die Zeit vor Einführung der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bezieht, ist sehr fraglich, ob aus der Entscheidung eine Handlungsverpflichtung des deutschen Gesetzgebers abzuleiten ist.

Gesamtschutz in der Zeitarbeit – Klärung steht aus

Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Fragen an den EuGH aufgeworfen. Sie betreffen die Vergütung der Zeitarbeitskräfte. Die Richtlinie sieht die Möglichkeit vor, gesetzlich zu regeln, dass von dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Equal Treatment) durch Tarifverträge „unter Beachtung des Gesamtschutzes von Leiarbeitnehmern“ abgewichen werden könne. Seit langem wird darüber diskutiert, was unter dem Begriff „Gesamtschutz“ zu verstehen ist. Auch das BAG konnte diese Frage offenbar nicht mit letzter Gewissheit beantworten und legte die Frage am 16.12.2020 deshalb dem EuGH vor. Der Gesamtschutz ist nach iGZ-Auffassung auf dem Hintergrund des hohen allgemeinen Schutzniveaus im deutschen Arbeitsrecht im Allgemeinen und dem besonders hohen Schutzniveau im Arbeitnehmerüberlassungsrecht eindeutig gegeben. Hinzu kommt die verfassungsrechtlich geschützte und auch in der Richtlinie betonte Tarifautonomie, die einen Eingriff in die Tariflandschaft der Zeitarbeit durch den EuGH ausschließen sollte.   

Eine weitere Vorlage an den EuGH, wieder durch das BAG, bezieht sich auf eine Frage, die für den öffentlichen Dienst von hoher Bedeutung ist, für die Zeitarbeitsbranche selbst aber ein Randthema sein dürfte: Die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD ist aus dem Anwendungsbereich des AÜG größtenteils herausgenommen worden. Die Rechtslehre zweifelt daran, dass der deutsche Gesetzgeber dazu befugt sei, da die Richtlinie eine solche Ausnahme nicht enthalte.  Das BAG bittet nun den EuGH, diese Frage zu klären.

Evaluierung der Arbeitnehmerüberlassungsgesetz-Novelle

Insgesamt sehen wir also drei verschiedene Themenkomplexe, die der EuGH auf Wunsch deutscher Gerichte klären soll. Auch wenn sich, wie dargestellt, keine ausreichenden Gründe für eine Anpassungsnotwendigkeit ergeben dürften, ist es durchaus vernünftig und schlüssig, dass die Koalitionspartner auf diese bevorstehenden Entscheidungen verweisen. Es ist schließlich im Koalitionsvertrag auch nicht von zwingend notwendigen Änderungen die Rede, sondern davon, „ob“ überhaupt Änderungen notwendig seien.

Auch ist es nachvollziehbar, dass auf die Evaluation verwiesen wird, die in § 20 AÜG ausdrücklich genannt wird und eigentlich schon für 2020 vorgesehen war. In der Evaluierung wird untersucht werden, ob Ziel und Zweck der AÜG-Novelle erreicht wurden, aber auch, ob die Regelungen praktikabel sind und ob es gewünschte oder unerwünschte Nebenfolgen gegeben hat.

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Zeitarbeitsbranche will nichts verbergen und hat nichts zu verbergen.

In einem weiteren Absatz werden Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung als „notwendige Instrumente“ bezeichnet. Hier könnte man wieder die Neigung der Politik beklagen, die Zeitarbeit immer wieder mit dem Werkvertrag in einen Hut geworfen werden. Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz wollen die Koalitionspartner durch effektivere Rechtsdurchsetzung verhindern. Das kann man als ein Bekenntnis dazu lesen, erst den Weg der Kontrolle und des Vollzugs zu gehen, anstatt Verbote zu erlassen. Dagegen ist aus Sicht der Zeitarbeit gar nichts einzuwenden. Die Zeitarbeit gehört bereits zu den am strengsten kontrollierten Branchen. Die Zeitarbeitsbranche will nichts verbergen und hat nichts zu verbergen.

Die Koalitionspartner wollen „für mehr Sicherheit“ bei Arbeit auf Abruf sorgen. Dieser Punkt ist etwas merkwürdig, weil zuletzt im Jahre 2018 die Rechte für die Arbeitnehmer bei der Arbeit auf Abruf gestärkt wurden. Es ist einerseits unklar, was hier noch gemacht werden soll und anderseits, warum dieses hier in der Passage zur Zeitarbeit genannt wird. Es dürfte, wenn überhaupt, die gesamte Wirtschaft betreffen.

Dauerhafte Chance auf Kurzarbeitergeld in der Zeitarbeitsbranche

Im Koalitionsvertrag wird angekündigt, das Kurzarbeitergeld nach der Corona-Pandemie zu evaluieren. Dahinter steht der Gedanke zu prüfen, welche der während der Corona-Pandemie geänderten Regelungen erhaltenswert sind. Für die Zeitarbeit ist das ein hoffnungsvoller Ansatz. Zwar hat die Bundesregierung die Möglichkeit, Kurzarbeitergeld auch für die Zeitarbeitskräfte zu beziehen, noch einmal bis zum 31.03.2022 verlängert. Dennoch würde den Zeitarbeitskräften der Bezug von Kurzarbeitergeld wieder im Anschluss daran unmöglich sein, sollte der Gesetzgeber nicht aktiv werden. Hier sollte der Gesetzgeber aus den guten Erfahrungen, die mit der Kurzarbeit in dieser Branche gemacht wurden, den Schluss ziehen, die Zeitarbeit dauerhaft dafür zuzulassen. Zur Abgrenzung von branchentypischen Risiken sollte man die Kurzarbeit jedenfalls für die Zeitarbeitskräfte ermöglichen, die in einem Kundenbetrieb eingesetzt sind, bei dem selbst Kurzarbeit eingeführt wurde.

Mindestlohn ja. Aber wann?

Koalitionsvertrag.jpgWie bereits aus dem Sondierungspapier bekannt, soll der gesetzliche Mindestlohn auf 12 Euro erhöht werden. Das soll in einem Schritt erfolgen. Überraschenderweise wird kein konkreter Zeitpunkt für das Wirksamwerden des neuen Mindestlohns genannt. Von Übergangsfristen für bestehende Tariflöhne unterhalb von 12 Euro findet sich ebenfalls kein Hinweis. Die Tariflöhne in den Zeitarbeitstarifverträgen bewegen sich 2022 in den beiden untersten Entgeltgruppen unterhalb von 12 Euro. Die Koalitionspartner unterstützen die von der Kommission ins Spiel gebrachte Mindestlohnrichtlinie und möchte sich in den Verhandlungen für verbindliche europäische Mindeststandards einsetzen.

Bei der Beschränkung des Rechts der Befristungen von Arbeitsverhältnissen waren die Vorstellungen insbesondere von der SPD viel weitergehender als dies im Koalitionsvertrag nun verabredet wurde. Sachgrundbefristungen sollen beim selben Arbeitgeber nur längstens sechs Jahre möglich sein. Die Abschaffung der Befristung aus Haushaltsgründen betrifft nur den öffentlichen Arbeitgeber. Da die Sachgrundbefristung in der Zeitarbeit selten ist, dürfte diese beabsichtigte Änderung für die Branche kaum von Bedeutung sein. (MD)

Über den Autor

Martin Dreyer

Dr. Martin Dreyer ist promovierter Jurist und seit 2004 beim iGZ tätig. Seit 2009 ist er stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Er verantwortet in der Geschäftsführung neben internen Bereichen die Fachbereiche Bildung und Recht und begleitet die Tarifverhandlungen des iGZ. Martin Dreyer vertritt den Verband außerdem in der Vertreterversammlung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG).


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E-Mail: dreyer@ig-zeitarbeit.de

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