"Zeitarbeit flexibler"
Herr Zahn, Unternehmer-Kollegen von Ihnen gehen so weit, dass sie in der aktuellen Wirtschaftskrise die Gefahr sehen, dass die Aufbauleistung der vergangenen 20 Jahre mit einem Schlag zerstört wird. Teilen Sie diesen Pessimismus?
Das ist wohl zu pessimistisch gesehen. Richtig ist aber, dass wir vor großen Herausforderungen gerade in der Automobil- und der Zulieferindustrie stehen und der Druck größer wird, dass wir Anpassungen vornehmen müssen. Ich habe schon vor längerer Zeit gesagt, als das Thema Opel hochkochte, dass wir gerade in Westthüringen über einen Strukturwandel nachdenken müssen. Unternehmen, die hauptsächlich im Automobilsektor tätig sind, sollten sich ihre Technologie und ihre Produkte anschauen und sich die Frage stellen, wo sie das alles noch verwenden können. In welche Produkte sie passen können, die nicht zum Automobilbau gehören. Ich denke da an den Bereich der erneuerbaren Energien.
Kann ein solcher Umbau mitten in der Krise gelingen?
Wir müssen uns bis 2013 verstärkt darum kümmern, denn dann läuft die aktuelle Förderperiode aus. Es sind also auch Mittel da, um solche Anpassungen zu ermöglichen. Das bedeutet für den Unternehmer, dass er sich selbstständig Gedanken machen muss, wo die Reise für ihn hingehen könnte. Dann sollte er mit einer Idee nach Erfurt fahren und dort gucken, ob er die entsprechenden Fördermittel erhält, um sie umzusetzen. Ein Umbau ohne Fördermittel ist sicher sehr schwierig, weil wir ja durch die Krise in dem einen oder anderen Fall Liquiditätsengpässe haben. Deshalb bin ich der Meinung, dass der Staat unterstützen muss.
Ist davon nur Westthüringen betroffen?
Gerade in Westthüringen müssen wir den Strukturwandel jetzt anpacken, weil wir in dieser Region sehr automobillastig sind. Wenn wir uns die Statistiken der Arbeitsagenturen anschauen, dann haben wir im Bereich Gotha die höchste Anzahl an Anträgen auf Kurzarbeit. Deshalb werden wir - völlig unabhängig von Opel - gerade im Herbst einen spannenden Herbst erleben und sehen, wie die Industrie weiter mit der Krise umgehen kann.
Doch auch bei den erneuerbaren Energien sieht der Markt derzeit nicht rosig aus. Ersol rechnet in diesem Jahr erstmals mit roten Zahlen.
Die Situation ist hier trotzdem eine andere. Der Bereich der erneuerbaren Energien befindet sich noch im Aufbau, die Märkte wachsen noch. Natürlich macht sich die Krise auch hier bemerkbar, doch im Unterschied zur Automobilindustrie ist man dort auf einem Markt tätig, bei dem die Nachfrage erst noch anspringen wird. Es wird jetzt vielleicht drei bis vier Jahre später passieren als zunächst gedacht. Beim Automobilbau haben wir dagegen zumindest in Deutschland das Problem, dass der Markt gesättigt ist. Die Nachfrage wird nicht massiv ansteigen. Deshalb muss sich die Automobilzulieferindustrie fragen lassen, was sie machen will, wenn Autos künftig mit Elektromotoren fahren und die klassischen Teile nicht mehr gebraucht werden.
Also gehen Sie nicht davon aus, dass der Automarkt zu alter Stärke zurückkehren wird?
Der Alternativantrieb Elektro wird vor 2020 oder 2030 sicher nicht in großen Stückzahlen auf den Markt kommen. Auch der Auslandsmarkt boomt, wenn man nur mal nach China schaut. Nur bauen die Chinesen inzwischen ihre eigenen Autos. Doch der typische Thüringer Unternehmer mit 20 Beschäftigten ist sehr stark auf Zulieferungen in Deutschland angewiesen. Deshalb muss er sehen, dass er sich anders aufstellt. Die Netzwerkbildung ist da sicher ein richtiger Ansatz. In solchen Gebilden muss man sich einig sein, wo die Reise hingehen soll. Hier sitzen einige Unternehmer noch nicht auf dem richtigen Pferd und haben noch zu viel Angst, dass sie zu viel hergeben und zu wenig bekommen, wenn sie in solchen Netzwerken mitarbeiten.
Doch wie realistisch ist der Strukturwandel? Der Unternehmer mit seinen 20 Beschäftigten hat derzeit sicher andere Sorgen, als Luftschlösser für die Zukunft zu bauen.
Ich glaube, dass die Unternehmer es trotzdem schon tun, über den Wandel nachdenken. Der eine ist weiter als der andere, doch der Druck zu handeln, der wächst. Das ist Prozess, der nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Schließlich kann beispielsweise der Hersteller eines Autoradios jetzt nicht ohne weiteres auf Radios für den Hausgebrauch umschwenken. Die Anforderungen an das Produkt sind schlicht andere.
Geht Bosch bei diesem Strukturwandel mit gutem Beispiel voran?
Bosch ist ja schon jetzt in verschiedenen Unternehmensbereichen aufgestellt. Mit dem Einstieg in die Solarenergie wurde jetzt ein Schritt getan, der sich langfristig auszahlen wird.
Wird Ihr Unternehmen, die Bosch Fahrzeugtechnik, in fünf Jahren noch genau so aussehen wie heute und noch die gleichen Produkte fertigen?
In fünf Jahren werden wir effizienter vergleichbare Produkte herstellen, die das Automobil effizienter und sicherer machen.
Wie intensiv wird der Strukturwandel und der damit verbundene Anpassungsprozess auf der Personalseite aus Ihrer Sicht ausfallen?
Der Strukturwandel ist die eine, die langfristige Seite. Was ich mit heißem Herbst meine ist die kurzfristige arbeitsmarktpolitische Dimension. Hier müssen wir wirklich abwarten, wie groß das Durchhaltevermögen jedes einzelnen Unternehmens noch ist.
Bedeutet dieser Prozess auch eine stärkere Konzentration?
Das ist nicht auszuschließen. Öffentlich werden immer nur die großen Fusionen wie Conti und Schaeffler, doch es gibt auch im mittelständischen Bereich eine Reihe von Zusammenschlüssen. Wenn es die Unternehmer nicht von sich aus machen, dann werden wir sicher erleben, dass die Banken manchem Firmeninhaber die Überlegung zum Verkauf seines Unternehmens abnimmt. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Zahl der Unternehmen schrumpf. Entweder dadurch, dass sie sich zusammenschließen oder aber, weil sie gänzlich vom Markt verschwinden. Eine Prognose für diesen Prozess ist aber nahezu unmöglich.
Die Linke fürchtet, dass Unternehmen die Krise dazu nutzen könnten, ihre Stammbelegschaften durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Sehen Sie diese Gefahr?
Wir erleben derzeit sicherlich eine Zunahme der Zeitarbeit. Das ist nötig, damit die Unternehmen in diesen unsicheren Zeiten flexibel reagieren können. Langfristig wird aber kein Unternehmer ein ungesundes Verhältnis aus Leiharbeitern und fest Angestellten dulden. Langfristig wird die Zeitarbeit ein Gewinner der Krise sein.
Aber haben die Unternehmen nicht gerade durch Kurzarbeit die nötige Flexibilität?
Kurzarbeit ist an Bedingungen gebunden. Wenn sie aufgehoben wird, dann sind Sonderschichten erst wieder zustimmungspflichtig. Hier ist Zeitarbeit flexibler. (Interview: Jolf Schneider, Freies Wort)