Wie sich Zeitarbeit weiterentwickeln kann
Der Teich ist leer – darin sind sich in der Zeitarbeitsbranche alle einig. Kundenanfragen sind da, Personal viel zu wenig. Die Branche muss sich bewegen. Aber wo liegt das Entwicklungspotenzial? Ein Weg führt Richtung Personalvermittlung. Hinweis: Dieser Artikel erschien mit weiteren spannenden Artikeln zur Branche zuerst in der neuen Zdirekt!.
Der Markt hat sich gewandelt, hin zum Bewerbermarkt. Unternehmen suchen händeringend nach qualifiziertem Personal und greifen dabei mehr denn je auf externe Unterstützung zurück. Das gilt nicht nur für die Zeitarbeit, sondern für den gesamten Markt der Personalservices, merkt Thomas Ball, Partner beim Analysten- und Beratungshaus Lünendonk & Hossenfelder, an. Angefragte Qualifikationen wandeln sich durch Digitalisierung, veränderte Produktions- nd Logistikprozesse und Internationalisierung. Das ist für Kundenunternehmen eine Herausforderung, bei der sie nicht nur personelle Unterstützung brauchen, sondern auch den Austausch und die Beratung auf Augenhöhe und nicht mehr nur die reine Personalabstellung. „Wir reden über erweiterte Services wie Recruiting, Matching und Netzwerken, die Unternehmen selbst nicht haben“, beschreibt Ball. „Dabei geht es nicht nur um internationale Unternehmen. Die Mittelständler vor Ort brauchen diese Art von Unterstützung mehr denn je. Hier hängt nicht selten die Zukunft des Unternehmens an gutem Personal.“
Vorteil Zeitarbeit
Erkennbar ist die Gleichung: Wenn die Besetzungszeiten von offenen Positionen steigen, setzen Unternehmen verstärkt auf Personalvermittlung. Ein Entwicklungsfeld für die Zeitarbeit? Offenbar ist die Branche prädestiniert, denn Zeitarbeit beinhaltet vor allem langfristige Kundenbeziehungen, während Personalvermittlung bisher eher projektbasiert agiert. „Wir haben mittlerweile einen Arbeitnehmermarkt. Dadurch verschiebt sich für die Personalvermittlung der Fokus. Der Mensch, der Mitarbeitende rückt mit seinen Anforderungen in den Fokus“, hat Thomas Ball auch in Studien ermittelt. „Das fängt zum Beispiel bei Schulabgängern und Studierenden an. In dieser Generation sind eine gewisse Flexibilität und Orientierung gewollt. Dafür müssen Personalvermittler frühzeitig, aktiv auf die Zielgruppe zugehen, diese begleiten und passende Angebote machen. Ein Prozess, der für die Zeitarbeitsbranche zum Alltag gehört und in der Personalvermittlung von heute echte Vorteile bringt.“
Bewerbende am längeren Hebel
Unternehmen bewerben sich bei den Kandidaten und nicht umgekehrt. „Da ist es wichtig, den Kandidaten Hintergründe und Geschichten zu den Unternehmen erzählen zu können. Darin sind Zeitarbeitsunternehmen sehr gut. Aber auch im Feld der Personalvermittlung müssen eigene Schwerpunkte, Kompetenzen und Netzwerke realistisch eingeschätzt werden.“ Headhunting und Personalvermittlung sind im kaufmännischen Bereich nicht neu. Im gewerblichen Bereich hingegen setzt dieses Modell durch den Fachkräftemangel gerade erst an. „Da ist eine andere Sprache gefragt, als wenn eine Executive-Position besetzt wird“, stellt Thomas Ball fest. „Auch hier ist die Zeitarbeit mehr als geübt.“ Es kommt also offenbar auf den Markt an, auf den abgezielt wird. Thomas Ball geht außerdem davon aus, dass die Verschiebung vom klassischen Helfer zum gefragten Facharbeiter der Zeitarbeitsbranche insgesamt gut tun wird. „Wenn vornehmlich Helfer überlassen, dann haben Sie als Branche ein Helferimage. Wertschätzung entsteht in Zeiten der Knappheit. Die Pflege ist hier ein positives Beispiel.“
Strukturelle Unterschiede
Schaut man allerdings tiefer in die Umsetzung der Unternehmen, die den Schritt Richtung Personalvermittlung bereits gegangen sind, zeigen sich strukturelle Herausforderungen. „Natürlich liegen Personalvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung eng beieinander“, stellt Christian Baumann, Geschäftsführer der pluss Personalmanagement GmbH, fest. „Aber wir mussten in unserer Organisation operative, klare Trennlinien zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Personalvermittlung ziehen. Arbeitnehmerüberlassung bringt hohe Umsätze, bedarf aber auch kontinuierlicher, intensiver Betreuung, Führung und Steuerung, der bei uns angestellten Zeitarbeitnehmer. In der Personalvermittlung kommt es hingegen eher darauf an, den Cultural Fit, die kulturelle Passform, auch langfristig einschätzen zu können. Dafür müssen Sie Unternehmen, Teams und Bewerber sehr gut kennen.“ Ist das der Fall, kann Personalvermittlung eine zusätzliche Einnahmequelle sein, eine Möglichkeit, das unternehmerische Risiko breiter zu verteilen.
Personalentwicklung statt -vermittlung
Auch Personalvermittler tun zukünftig gut daran, ihre Klienten auf Arbeitnehmerseite langfristig zu begleiten. „Personalentwicklung wird auch in der Personalvermittlung immer wichtiger“, sagt Thomas Ball. „Das Thema liegt zwar erstmal auf Seiten der Arbeitgeber, allerdings macht es natürlich Sinn, in Zeiten knapper Arbeitskräfte Vertrauen aufzubauen, Kontakte langfristig zu halten, zu coachen und zu begleiten.“ Die Folge: Bestehende Netzwerke zu Kundenunternehmen wie Mitarbeitenden bleiben zentraler Bestandteil. Sowohl Baumann wie auch Ball sehen hier für die Zukunft einen wichtigen Vorteil in der klassischen Personalvermittlung. Die Digitalisierung rücke auch in ihre Geschäftsbereiche vor. Verschiedene Lösungen, die das Identifizieren geeigneter Kandidaten erleichtern, seien sicherlich interessant. Beide beobachteten aber auch, dass der persönliche Kontakt zwischen allen Parteien nach wie vor hochgeschätzt werde.
Zeitarbeit ist hier, um zu bleiben
Außer Frage steht für den Lünendonk-Experten jedoch, dass die Zeitarbeit auch in Zukunft ihre Berechtigung haben wird. „Spitzen in der Logistik, im Pflegebereich wird es auch in Zukunft geben. Es wird weiterhin Branchen geben, in denen sich Mitarbeitende auch bewusst für das Modell Zeitarbeit entscheiden werden.“ Aber gerade im Helferbereich macht Personalvermittlung wenig Sinn. Hier sieht Ball das Potential eher in der Weiterqualifikation und Personalentwicklung: „Mehr denn je sollten wir auch mal ins Risiko zu gehen, um Zeitarbeitnehmer langfristig zu binden und sie selbst zu qualifizieren. Höhere Verrechnungssätze, Wertschätzung und Mitarbeiterbindung können die Folge sein. Zudem wird man weniger austauschbar, kann sich vom Wettbewerb differenzieren. Das ist nicht immer der schnellere, aber sicher der längere Euro.“ (JI)