"Weniger Ideologie – mehr Pragmatismus!" Diandras Tagebuch aus Berlin

Neun Monate und ein bisschen weise: Als ich Mitte Januar diesen Jahres als politische Referentin im Berliner Büro des iGZ anfing, hatte ich vorher durchaus Berührungspunkte mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – auch im Zusammenhang mit der Novelle 2017. Allerdings muss ich zugeben, dass ich die Komplexität des Gesetzes und die Funktionsweise der Zeitarbeitsbranche als Ganzes unterschätzt habe. Heute ist mir klar: Das Dreiecksverhältnis in der Zeitarbeit – wo Arbeitgeber* und Arbeitsleistung des Arbeitnehmers getrennt voneinander sind –  birgt vielfache Besonderheiten, die von vielen nicht erkannt werden.

Die Komplexität von Zeitarbeit wird unterschätzt

Das spannendste an der Zeitarbeit für mich: Sie ist nahezu überall in der Wirtschaft vertreten. Damit ist man immer wieder gefordert, sich in die gelebte Praxis einzuarbeiten, mit Vertretern der Einsatzbranchen in Austausch zu treten und unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen. Auch in den Medien ist Zeitarbeit vielfach vertreten. Leider fehlt hier oft grundsätzliches Wissen, trotz Informationsoffensiven aus Berlin und Münster. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Debatte rund um das Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft. Ich war überrascht, wie selbst öffentlich-rechtliche Medien die zentralen Unterschiede beider Vertragsformen übergehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir vor Ort in der Hauptstadt immer wieder aufkären.

Faktenlage steht Verbotsvorhaben diametral entgegen

Zu Beginn meiner Tätigkeit beim iGZ habe ich nicht damit gerechnet, dass die Politik gleich mehrfach versucht Zeitarbeit in Einsatzbranchen zu verbieten. Ein Verbot ist meiner Ansicht nach das wohl schärfste Schwert unserer Demokratie. Daher muss es dafür auch triftige sowie unumstößliche Gründe geben. Blickt man jedoch auf den Sachstand des Verbotsvorhabens in der Fleischwirtschaft wird schnell klar, dass es dafür keinerlei Grundlage gibt. Die Bundesregierung weiß selbst nicht einmal wie viele Zeitarbeitnehmer in der Branche tätig sind. Auch in der Diskussion bezüglich der Verbotsinitiatve von Zeitarbeit in der Pflege wird von Kritikern immer wieder das Argument angeführt, Zeitarbeit würde in der Pflege exzessiv genutzt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Anteil bewegt sich auf einem durchschnittlichen Niveau und ist im letzten Jahr sogar gesunken. Faktenbasierte Politik geht anders!

Zeitarbeitsforschung verbessern

Neben dem politischen Geschäft in Berlin gehört zu meinen zentralen Aufgaben die Erstellung einer umfassenden Datenbank, die von A bis Z alle wichtigen Kennzahlen zur Zeitarbeit enthält. Dadurch habe ich inzwischen zahlreiche Studien ausgewertet und musste aber auch feststellen, dass vieles davon schlichtweg nicht repräsentativ ist. Zeitarbeitnehmer einfach mit einer beliebigen Gruppe von „Nicht-Zeitarbeitnehmern“ zu vergleichen entbehrt jeder statistischen Grundlage. In anderen Fällen werden wiederum relevante Erkenntnisse nicht ausreichend berücksichtigt, wie der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Forschungsbericht „Arbeitsqualität in Zeitarbeitsverhältnissen“ von 2015 zeigt. Die Autoren stellten grundlegend fest, dass in Unterschungen zu Zeitarbeitnehmern klar nach Beschäftigungsmotiven unterschieden werden muss. Ob die Tätigkeit als vorübergehend eingeschätzt wird oder einer längerfristiger Verbleib geplant ist, hat Auswirkungen auf alle weiteren Faktoren wie Qualitätsaspekte und Bewertungen zur Arbeitszufriendenheit. Darüber hinaus gibt es immer noch zahlreiche „weiße Flecken“ in der Zeitarbeit, die es zu erforschen gilt, um das komplexe Zusammenspiel von Arbeitnehmer, Zeitarbeits-und Einsatzbetrieb zu verstehen. Den iGZ hierbei zu unterstützen und zusammen mit Forschungsinstituten neue Wege zu beschreiten bereitet mir viel Spaß!

Zeitarbeit ist besser als ihr Ruf

Aufgrund meiner ausführlichen Recherchetätigkeit weiß ich: Zeitarbeit ist geprägt durch sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse. Vor allem Menschen ohne Berufsabschluss oder Langzeitarbeitlsose finden in der Zeitarbeit den (Wieder-) Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Vermehrt entscheiden sich aber auch Fachkräfte für Zeitarbeit, weil sie unterschiedliche Einsätze bewusst suchen und die Abwechslung schätzen. Tarifverträge werden mit den DGB-Mitgliedsgewerkschaften abgeschlossen und nahezu flächendeckend in der Branche angewandt. Damit profitieren Zeitarbeitnehmer von allen bekannten Vorteilen wie Zuschlägen, Jahressonderzahlungen und Urlaubsgeld. Per Rechtsverordnung gilt eine allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze, die deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Die Liste ließe sich an dieser Stelle beliebig weiterführen. Damit lässt sich die Behauptung einiger Akteure, die gerne von einem „Prekaritätspotenzial“ der Branche sprechen, nicht halten. Kürzere Beschäftigungsdauern und Einsatzwechsel sind in der Kernfunktion von Zeitarbeit begründet und damit systemimmanent. 

Weniger Ideologie – mehr Pragmatismus

Zeitarbeit ist heute eine feste Größe am deutschen Arbeitsmarkt und hat entscheidend zum Erfolg unserer exportorientierten Wirtschaft beigetragen. Auch deswegen würde ich mir für die Zukunft eine weniger ideologisch aufgelandene Diskussion rund um die Zeitarbeit wünschen und mehr Bereitschaft, die wirklichen Probleme anzugehen. Im Fall der Fleischwirtschaft wäre das die Durchsetzung bestehender Gesetze und ein stärkerer Arbeitsschutz. In der Pflege verbesserte Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, wie von zahlreichen Akteuren der Branche seit Jahren gefordert. Ich freue mich als Teil des iGZ diese zahlreichen Herausforderungen anzugehen und bin mir sicher, ausgelernt habe ich noch lange nicht!

Von Diandra Schlitt, politische Referentin im iGZ-Hauptstadtbüro Berlin

Über die Autorin:

Diandra Schlitt treibt im iGZ-Hauptstadtbüro in Berlin den Ausbau von Netzwerken mit relevanten Entscheidungsträgern und Organisationen voran und nimmt an externen Veranstaltungen mit arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkten teil. Außerdem schreibt sie Fachartikel für das Mitarbeitermagazin Zdirekt! und Positionspapiere zu verbandspolitischen Themen.

*Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen erfolgen geschlechterunabhängig. Sie werden ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwendet.