Was in Sachen Kurzarbeitergeld jetzt und später getan werden muss
Es gibt eine Zeit vor dem 24. Februar 2022 und eine Zeit seit dem 24. Februar 2022. Am 24. Februar hat Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Dieser hat vor allem für die Menschen in der Ukraine verheerende Auswirkungen. Dies sei einem Beitrag vorangeschickt, der sich mit den Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Personaldienstleistungsbranche befasst. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine. Dennoch ist es auch in solchen Zeiten die Aufgabe eines Arbeitgeberverbandes, sich um die wirtschaftlichen Belange seiner Mitglieder zu kümmern und alles zu unternehmen, was die sich abzeichnenden Probleme abmildern kann.
Deshalb stellt sich die Frage:
Wie ist das Kurzarbeitergeld kurzfristig und langfristig für die Zeitarbeit zu regeln?
Schauen wir zunächst auf die kurzfristig notwendigen Maßnahmen.
Am 16. Februar wurden in Berlin Sachverständige zu dem Kurzarbeitsverlängerungsgesetz angehört. Alle eindringlichen Appelle, die Kurzarbeit für die Zeitarbeit wenigstens bis zum 30. Juni 2022 zu ermöglichen, prallten an der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien ab. Die Ablehner waren nummerisch in der Minderheit, aber machtpolitisch in der Mehrheit. Neben dem iGZ, der durch seinen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Sven Kramer vertreten war, unterstützten neben anderen Arbeitgeberverbänden auch die Gewerkschaften dieses Anliegen.
Die Ablehnung war schon damals, vor dem Ausbruch des Krieges, ein Fehler. Dass sie jetzt nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, sollte außer Zweifel sein. Ein kurzer Blick zurück, weil sich daraus auch etwas für die Zukunft ableiten lässt: Zwei Argumente wurden zur Ablehnung vorgebracht, die auf ein grundsätzliches Missverständnis hindeuten.
Zunächst wurde mit Zahlen von 6.000-7.000 Zeitarbeitskräften in Kurzarbeit operiert und damit suggeriert, es seien zu wenige für eine Verlängerung der Sonderregelung für die Zeitarbeit. Dabei hat man offenbar die Zahl der KUG-Anzeigen mit der Zahl der in Kurzarbeit befindlichen Beschäftigten verwechselt. Diese letztere Zahl wird leider immer zeitlich um fünf bis sechs Monate verzögert veröffentlicht. Im November 2021 haben 916 Zeitarbeitsunternehmen das Instrument der Kurzarbeit für 13.537 Beschäftigte benutzt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl seitdem kleiner geworden ist. Keine Zahl, über die man einfach so hinweggehen sollte.
Dass die Zahl, bezogen auf die Gesamtzahl der in der Zeitarbeit Beschäftigten, niedrig ist, erklärt sich aus deren unterschiedlichen Einsatzbereichen. Im Handel mag die Konjunktur gut sein, so dass Zeitarbeitsunternehmen dorthin ohne größere Pandemieauswirkungen überlassen können. Zeitarbeitsunternehmen hingegen, die sich auf die Bereiche Event, Messe, Gastronomie spezialisiert haben, sind von den Pandemiefolgen weiterhin so betroffen wie die Einsatzbetriebe selbst. Die Personaldienstleister, die in die Automobilbranche überlassen, haben mit der Lieferkettenproblematik zu kämpfen, die vom Gesetzgeber für die letztmalige Verlängerung bis zum 31. März 2022 als tragkräftiges Argument akzeptiert wurde.
Die unterschiedliche Betroffenheit erklärt auch die hohe Zahl der offenen Stellen, die der Zeitarbeit selbst vorgehalten wurde. Der Zeitarbeit wird also vorgehalten, dass sie bei besserer Konjunktur in einzelnen Einsatzbereichen schnell wieder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufbaut. Es bereitet Probleme, diese Argumente mit ruhigem Puls aufzunehmen.
Ein weiteres Argument, wenn auch eher hinter vorgehaltener Hand geäußert, sind die leeren Beitragskassen. Dabei ist es vom Grundsatz her ein vernünftiges Argument, auf die Ausgaben zu achten und die Sonderregelungs-Schraube nach und nach wieder enger zu ziehen. Nur: Die Zeitarbeit beansprucht keine Erleichterungen zur Kurzarbeit, sondern nur, dass sie überhaupt zugelassen wird. Sie erhielte dann etwas aus den Kassen, in die sie selbst einzahlt. Die relativ niedrige Zahl der KUG-Bezieher bedeutet auch, dass die Zulassung der Zeitarbeit kein Loch in die Kasse der Arbeitslosenversicherung gerissen hätte und künftig reißen würde. Dagegen hätten viele Arbeitsplätze gesichert werden können. Das Preis-Leistungsverhältnis wäre ausgesprochen gut gewesen. Die Herausnahme der Zeitarbeit ist Sparen am falschen Ende.
Nun ist Krieg, und die Auswirkungen sind bereits deutlich spürbar. Sie werden sich, so ist zu befürchten, noch verschärfen. Das Ifo-Institut meldet ein Stillstehen der Bänder bei VW und BMW, weil Kabelbäume fehlen. Die Zeitarbeitsbranche ist klassischer Weise ein Frühindikator für solche Eruptionen. Die Zeitarbeitskräfte werden als erstes abgemeldet, und das berichten auch unsere Mitglieder in beachtlicher Zahl. Die Politik muss jetzt schnell reagieren und den Fehler aus dem Februar rückgängig machen. Auch wenn ein Gesetzgebungsverfahren aufwendig ist und zudem die Änderung des AÜG und der Erlass einer Verordnung erforderlich ist. Die Politik hat am Beginn der Pandemie Geschwindigkeit gezeigt. Das sollte sie auch jetzt tun und Kurzarbeit für Zeitarbeitsbeschäftigte kurzfristig ermöglichen, notfalls rückwirkend wie 2020 zum Beginn der Pandemie.
Auf längere Sicht kann die Zeitarbeit nicht damit zufrieden sein, wie eine Tischlampe an und ausgeschaltet zu werden. Notwendig ist eine grundsätzliche Lösung für die Kurzarbeit in der Zeitarbeit. Der Zeitarbeit wurde, vom Gesetzgeber und vor allem auch von der Bundesagentur für Arbeit das Argument entgegengehalten, das Risiko eines Arbeitsausfalls sei ein branchentypisches Risiko und damit von ihr, der Zeitarbeit, und nicht der Arbeitslosenversicherung zu tragen. Richtig ist, dass der Zeitarbeit in Deutschland das Unternehmerprinzip zugrunde liegt. Deshalb kann es natürlich kein Fall von Kurzarbeitergeld sein, wenn ein Personaldienstleister einen Auftrag verliert und möglicherweise Arbeitnehmer zwischenzeitlich nicht einsetzen kann. Das gilt auch dann, wenn eine Auftragsspitze oder ein kurzfristiger Vertretungsbedarf wegfällt. Die Zeitarbeitsbranche bekennt sich zu dem Arbeitgeberprinzip und lehnt ein Agenturprinzip wie in Frankreich, wo mit jedem Einsatzende das Arbeitsverhältnis endet, ab.
Allerdings gibt es auch in der Zeitarbeit Umstände, die das branchentypische Ausfallrisiko überlagern. Das gilt unbestritten für die Pandemie, der Gesetzgeber hat es für die Lieferkettenproblematik gesehen. Es gilt jetzt auch für die Verwerfungen, die es bereits jetzt wegen des Ukraine-Krieges gibt oder die künftig noch zu befürchten sind. Und es sind künftig weitere Ereignisse denkbar, die außerordentlich auf die Konjunktur in Deutschland einwirken und für die Zeitarbeit eben nicht nur ein Wegfall einer Auftragsspitze oder eines Vertretungsfalls bedeuten, sondern eine Situation, in der nicht nur ein Kundenbetrieb, sondern ganze Branchen betroffen sind.
Es kann nicht sein, dass die Zeitarbeit in jedem einzelnen Fall als Bittsteller für eine entsprechende Gesetzesänderung und Verordnung vorstellig werden muss. Eine grundsätzliche Regelung könnte so aussehen, dass man die Möglichkeit der Kurzarbeit für die Zeitarbeitsbeschäftigten auf die Fälle begrenzt, bei denen Kurzarbeit auch im Einsatzbetrieb eingeführt wurde. Dann hat man ein äußeres Merkmal, aus dem deutlich wird, dass es sich ersichtlich nicht um ein branchentypisches Risiko handelt, sondern um ein das Branchenrisiko überlagerndes wirtschaftliches Problem. Dieser Vorschlag löst nicht jedes Problem für die Zeitarbeit und hinterlässt Lücken. Aber es wäre besser, eine solche Lösung zu haben als keine.
Über den Autor
Dr. jur. Martin Dreyer ist seit 2004 beim iGZ. Er ist Geschäftsführer und begleitet die Tarifpolitik sowie die Arbeit in den Projektgruppen. Martin Dreyer ist Mitglied in der Vertreterversammlung der VBG und vertritt die Verbandspolitik gegenüber der Berufsgenossenschaft.