Viele Anfragen zu Kündigungen und Lohn
Die Zeitarbeitsbranche hat wie alle Wirtschaftszweige derzeit mit der Corona-Pandemie zu kämpfen, die alles aus dem Takt gebracht hat und Menschen vor Existenznöte stellt. Die Einschränkungen sowie weitere Ereignisse wie etwa der seit 1. April geltende neue Tarifabschluss, stellen auch die unabhängige Kontakt- und die Schlichtungsstelle (KuSS) vor große Herausforderungen. Torsten Oelmann, Geschäftsführer von Oelmann Consulting, gab dazu ein Interview. Er leitet zusammen mit Professor Franz Josef Düwell und Holger Dahl, beide ehemalige Richter, die Kontakt- und Schlichtungsstelle.
Wie wirken sich diese unsicheren Zeiten auf die Arbeit der KuSS aus?
Zunächst möchte ich vorab betonen, dass die KuSS auch in diesen Zeiten selbstverständlich unverändert erreichbar ist und ihrer satzungsgemäßen Aufgabe verantwortungsbewusst nachgeht. Wie nicht anders zu erwarten, hat die Anzahl der Anfragen im März deutlich zugenommen, wobei wir auch schon im Februar vergleichsweise viele Hinweise zu verzeichnen hatten.
Dabei fällt nach einem ersten Eindruck auf, dass Themen rund um Kündigungen und Lohnzahlungen tendenziell zugenommen haben, während andere Fragestellungen bezüglich Branchenzuschlägen, Höhe der Lohnfortzahlung oder des neuen AÜG eher in den Hintergrund getreten sind.
Hat sich die Stimmungslage geändert?
Zwar ist die Stimmung unter den Konfliktparteien überwiegend noch sachlich, man merkt aber bereits eine angespanntere Situation. Zudem fällt auf, dass zum Teil die Kompromissbereitschaft nachzulassen scheint. Aber: viele Arbeitnehmer haben Verständnis für ihren Arbeitgeber und für die derzeitige Situation und die allermeisten Arbeitgeber handeln verantwortungsvoll.
Gibt es gleichermaßen Anfragen von allen Beteiligten des Dreiecksverhältnisses oder überwiegen die Anrufe einer Gruppe?
In der Vergangenheit kamen die Anfragen zu etwa 90 Prozent von Seiten der Arbeitnehmer – inklusive Bewerber und ehemalige Mitarbeiter – die restlichen zehn Prozent teilten sich in Personaldienstleister, Entleiher oder auch andere Einrichtungen auf. Derzeit erhalten wir fast ausschließlich Anfragen von Mitarbeitenden in laufenden Beschäftigungsverhältnissen. Konflikte unter Mitgliedsunternehmen gehen zurück. Vermutlich konzentrieren sich Unternehmen in Krisenzeiten mehr auf sich.
Was bewegt die Ratsuchenden am meisten?
Neben allgemeinen Fragen zu Kurzarbeit, Verwendung von AZK-Stunden, Abbau von Urlaubstagen et cetera, stehen oft finanzielle Erwägungen im Vordergrund. Auch Themen rund um Kündigungen werden derzeit oft an uns heran getragen. In einigen Fällen laufen auch bereits Schlichtungsverfahren, in denen es um ausstehende Lohnzahlungen geht – konkret bezogen auf den noch offenen Februar-Lohn. Hier geht es natürlich schwerpunktmäßig um die Existenzsicherung, wobei die Frage ist, inwieweit das tatsächlich schon etwas mit der Corona-Krise zu tun hat. In den meisten Fällen geht es um konkrete Sachverhalte, die auch belegt werden können. Es gibt aber auch eine zunehmende Anzahl von Anrufen oder Mails, in denen es mehr um allgemeine Themen geht oder bei denen die Menschen froh sind, ein „offenes Ohr“ oder Hilfe zu finden.
Wie sehen Lösungen oder Antworten auf die Anfragen aus?
Lösungen und Antworten sind zunächst einmal natürlich immer so individuell wie das im Einzelfall an uns herangetragene Problem. Wir plädieren aber ausdrücklich dafür, dass man explizit auch in schwierigen Zeiten Verständnis für die jeweils andere Seite aufbringen und eine ausgeprägte Kompromissbereitschaft mitbringen sollte. Insbesondere in Krisenzeiten zeigt sich unserer Auffassung nach, welche ideellen Werte man in der „Personaldienstleistung“ im Wortsinne sieht, und wer Ethik und Moral nicht nur als leere Worthülse versteht oder für eine Werbekampagne hält – es wird ganz sicher auch eine Zeit nach Corona geben.
Gibt es einen Fall im Zusammenhang mit der Coronakrise, der sie besonders bewegt hat?
Es steht leider zu befürchten, dass die schwerwiegenden Fälle vermutlich noch kommen werden. Insofern können wir diese Frage in ein bis zwei Monaten wahrscheinlich besser beantworten. Im Vergleich zu früheren Krisenzeiten hilft es derzeit sicher auch, dass Zeitarbeitsunternehmen Kurzarbeit beantragen können und somit hoffentlich viele Kündigungen nicht ausgesprochen werden müssen. Darüber hinaus fällt auf, dass wir momentan eine Vielzahl von Anfragen aus der Pflegebranche erhalten. Diese Menschen haben zwar tendenziell eher weniger finanzielle Probleme, man merkt diesen aber deutlich an, dass die Grenze der Belastbarkeit bereits erreicht oder auch schon überschritten wurde.
Wie gehen Sie als Personalberater generell mit der Coronakrise um?
Bei allem Verständnis für die aktuell großen Sorgen innerhalb der Branche und für gegebenenfalls notwendige betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Stabilisierung eines Unternehmens sollte man nie die Verantwortung für seine Mitarbeiter vernachlässigen. Es hilft oft sich vorzustellen,
wie man rückwirkend zum Beispiel zum Jahreswechsel 2020/2021 die derzeitige Krise betrachten würde oder wie man in der Vergangenheit schwierige Zeiten überstanden hat.
Mögen Sie einen Blick in die Zukunft wagen?
Auch wenn es abgedroschen klingen mag und im Moment nicht wirklich weiterhilft: Jede Krise ist irgendwann einmal zu Ende und man sollte soweit wie möglich versuchen, gestärkt daraus hervor zu gehen. Wahrscheinlich wird man sich in nicht allzu ferner Zeit wieder darüber unterhalten, wie geeignetes Personal gewonnen werden kann. Dies sollte man bei unternehmerischen Entscheidungen und beim Umgang mit seinen Mitarbeitern immer im Blick haben. Hier sehe ich auch eine große Chance für unsere Branche. Nach meinem persönlichen Eindruck beteiligen sich viele mit allen Kräften und tun alles Menschenmögliche, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. (JR)