Sommer (DGB): Zeitarbeit als vernünftiges Instrument weiterführen
Herr Sommer, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat angekündigt, ein zweites Thema anzupacken, das den Gewerkschaften auch seit Jahren am Herzen liegt, das Thema Leiharbeit. Fälle wie die bei Schlecker sollen nicht mehr vorkommen, dass also ein Unternehmen Teile seiner Stammbelegschaft durch billige Leihkräfte ersetzen kann. Fälle wie Schlecker - ist das ein Einzelfall?
Sommer: Schlecker ist ein Beispiel von vielen. Es gibt sehr große Konzerne übrigens auch, die Leiharbeitsfirmen gegründet haben, teilweise zu Saubedingungen Leute ausgeliehen haben, teilweise zu anständigen Bedingungen ausgeliehen haben. Aber es zielte immer darauf, Beschäftigungsverhältnisse und letztendlich den internen Arbeitsmarkt in den Betrieben auch kaputtzumachen. Was die Regierung tun muss, ist meines Erachtens zweierlei. Wir brauchen zum einen mit Blick auf 2011 infolge Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa erst mal eine Sicherung der Lohnuntergrenze für Leiharbeit generell. Denn wir werden erleben im Jahr 2011, wenn bis dahin nichts passiert, dass Leiharbeit aus Osteuropa mit osteuropäischen Leiharbeitsfirmen darauf zielen wird, weiter die Beschäftigungsbedingungen in Deutschland zu verschlechtern. Dem kann man entschieden entgegenwirken mit einem vernünftigen Tarifvertrag zur Allgemeinverbindlichkeit.
Schröder: Das heißt, Sie fordern einen Mindestlohn für die Branche?
Sommer: Ja. Da sind wir lange dabei. Wir konnten uns ja in der Endphase der große Koalition nicht durchsetzen. Wir werden den Anlauf erneuern. Aber der zweite Punkt ist sehr viel prinzipieller. Wir brauchen insgesamt eine Überprüfung der Konstruktion des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die 2003/2004 geschaffen worden ist. Ich darf daran erinnern, dass damals vereinbart worden ist in diesem Gesetz, dass der Grundsatz gilt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer und Stammbelegschaft. Wir haben damals dazu gesagt, es kann tarifvertragliche Abweichungen geben. Und jeder, der an dem damaligen Verhandlungsprozess beteiligt war - ich war es auch persönlich - ist nicht davon ausgegangen, dass dieses Mittel der Tarifpolitik von Scheingewerkschaften und von zu allem entschlossenen Arbeitgebern missbraucht wird. Das heißt, wir brauchen eine Klarstellung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dass diese Art von Tarifverträgen nicht mehr Anwendung finden. Dann kann man auch die Leiharbeit und Zeitarbeit als ein vernünftiges arbeitsmarktpolitisches Instrument weiterführen. Ansonsten wird sie sich selber desavouieren.
Schröder: Haben hier nicht auch die Gewerkschaften versagt? Denn die Gewerkschaften haben ja die Abschlüsse gemacht, die sie jetzt kritisieren. Was ist da falsch gelaufen? Warum haben Sie so miserable Verträge abgeschlossen?
Sommer: Ich will noch mal sagen, ich lasse ja so ziemlich alle Vorwürfe gegen mich gelten, aber für die Tarifverträge tragen wir nun wirklich nicht die Verantwortung.
Schröder: Aber Sie haben sie doch selber abgeschlossen.
Sommer: Nein, wir haben die Tarifverträge, über die ich rede, nicht abgeschlossen, sondern die sind von sogenannten christlichen Gewerkschaften abgeschlossen worden mit kleinsten Arbeitgeberverbänden, die nur darauf zielten - die haben teilweise überhaupt keine Mitglieder - irgendeinen Tarifvertrag zu schreiben und die dann für diese entsprechenden Entleiher zur Anwendung zu bringen. Das ist ja eine der Verwerfungen, die wir bekämpfen müssen.
Schröder: Aber die Verträge der DGB-Organisation sind nicht so viel besser.
Sommer: Doch, doch, sie sind im Kern wesentlich besser, sie sind alle über sieben Euro, was die entleihfreie Arbeitszeit anbetrifft. Sie haben alle die Zahlung von Sozialleistungen. Wenn Sie sich die Tarifverträge im Detail ansehen, dann sehen sie, dass eine Lücke von 20 bis 30 Prozent klafft, die nach unten aufgemacht wird.
Schröder: Herr Sommer, ich verstehe nicht, wie wollen Sie das erreichen, dass Leiharbeiter genau so bezahlt werden wie Stammbeschäftigte? Sie müssen doch gegen ihre eigenen Tarifverträge angehen…
Sommer: Nein, nein.
Schröder: . . . und müssen die außer Kraft setzen, damit eine Gleichbehandlung hergestellt wird. Wie wollen Sie das sonst schaffen?
Sommer: Wir müssen eine Regelung machen. Und da gilt der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wenn die Firma XY an den Betrieb jemanden ausleiht, dann muss der mindestens nach einer kurzen Einarbeitungszeit gleich behandelt werden wie derjenige, der in dem Stammbetrieb ist.
Schröder: Wie wollen Sie das erreichen?
Sommer: Durch Tarifverträge, durch Betriebsvereinbarungen, durch Einflussnahme auf den Entleihbetrieb, also auf den Betrieb, der Arbeitskräfte entleiht, der tatsächlich dann welche nimmt.
Schröder: Was hindert Sie denn daran, solche Tarifverträge abzuschließen?
Sommer: Wir tun es ja. Im Zuge der Leiharbeitskampagne haben wir das generell gemacht. Wir bräuchten diese Einzeltarifverträge nicht abzuschließen, wenn wir gesetzlich regeln würden durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dass in dem Moment, wo jemand entliehen ist, der Tarifvertrag gilt, der in dem Betrieb angewandt werden muss. Dann ist die Sache von vorneherein geregelt.
Schröder: Aber ist nicht auch ein Teil der Wahrheit, dass Ihnen schlicht die Durchschlagskraft fehlt, um solche Tarifverträge durchzusetzen?
Sommer: Ach, auf den Punkt wollen Sie? Ja, wir haben zum einen sehr unterentwickelte Organisationen, gerade bei Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern selbst, das ist richtig. Aber für die Entleihbetriebe, da haben wir schon die tarifvertragliche Mächtigkeit, durchzusetzen, dass da etwas passiert. Sonst hätte die IG Metall diese Tausenden von Tarifverträgen übrigens auch nicht abschließen können, wo wir die Entleihbedingungen in den Betrieben regeln.
Schröder: Sie sagen, für die Leiharbeitsbranche brauchen Sie Mindestlöhne, um das Tarifsystem abzusichern, weil die Gewerkschaften es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen. Es gibt andere Branchen, in denen fordern Sie auch Mindestlöhne. Sehen sie da Chancen, das bei der Bundesregierung durchzusetzen? Finden sie da Gehör?
Sommer: Zum einen hat die Forderung nach Mindestlöhnen nicht nur etwas mit mangelnder gewerkschaftlicher Kraft zu tun, sondern teilweise auch zum Beispiel mit der mangelnden Tarifbindung von Arbeitgebern. Ich glaube schon, dass es Chancen gibt, auch diese Regierung davon zu überzeugen, dass man spätestens mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit 2011 in Europa zu Mindestarbeitsbedingungen kommt, die durch Gesetz geregelt sind. Das heißt, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden nach dem Entsendegesetz. Die Alternative wäre - das wäre die bessere - ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Das wäre sicherlich schwieriger durchzusetzen als der Punkt, den ich Ihnen da eben genannt habe. Es war erst mal ein Fortschritt in der Koalitionsvereinbarung, dass sie gesagt haben, wir kippen nicht die bestehenden Mindestlohntarifverträge. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir gucken müssen, ob das, was jetzt ausgehandelt worden ist, zum Beispiel Gebäudereiniger, ob das jetzt tatsächlich für allgemeinverbindlich erklärt wird. Wir sind da sehr dahinter her und ich hoffe auch, dass es da die notwendige Einsicht bei der Arbeitsministerin und bei der Bundesregierung insgesamt gibt.
Schröder: Die FDP aber bremst.
Sommer: Die bremst noch, sehr intensiv sogar. Ich weiß das auch, und es gibt Teile in der Union, die versuchen, es trotzdem flottzukriegen, die wir da auch massiv unterstützen. Aber von Seehofer angefangen bis zu Westerwelle - bei der Kanzlerin glaube ich sowieso, dass man da eher auf Einsicht hoffen kann - werden die feststellen, dass, je näher der Termin 1. Mai 2011 kommt, das heißt die volle Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aus Osteuropa entsandt werden - niemand hat etwas dagegen, dass die hier herkommen, sondern die Frage ist, zu welchen Bedingungen die arbeiten - dass das den sozialen Druck erhöhen wird und dass das auch zu einer Einsicht und zu einer Umkehr bei der Bundesregierung führen wird. Ich hoffe es jedenfalls sehr (Deutschlandfunk – Interview der Woche am 17.01.2010, Gerhard Schröder).