Scrollytelling – per Wisch durchs crossmediale Projekt

Vielleicht drei Sekunden. So viel Zeit geben ich und andere junge Leute einem Beitrag im Internet oder den sozialen Netzwerken, bevor ich desinteressiert weiterwische. Ob es ein Video oder ein Text ist, nur wenn meine Aufmerksamkeit geweckt ist, bleibe ich dran. Dabei gilt: Was hervorsticht, was ungewöhnlich ist, gewinnt. Das fängt bereits beim Format an. Wie wäre es zum Beispiel damit, eine Reportage oder eine Geschichte in Form eines Scrollytellings zu erzählen?

Dabei handelt es sich um eine journalistische Erzählform, die auf einer eigenen, in sich geschlossenen Webseite stattfindet. Scrollytelling setzt sich aus den Worten „Scrollen“ und „Storytelling“ zusammen. Durch die Reportage navigiert der Nutzer oder die Nutzerin ähnlich wie bei Tinder oder Social-Media-Plattformen: Durch die Inhalte wird durchgewischt oder am Computer eben gescrollt. Wichtig ist dabei die Vielfalt der Darstellung. Videos, Tonschnipsel, lange Zitate oder atmosphärische Geräusche beim Lesen der Texte sorgen dafür, dass die Erzählung immer spannend und abwechslungsreich bleibt.

Anders als bei vorgegebenen Formaten, wie etwa einer Fernsehreportage, bestimmt die Person vor dem Bildschirm das Tempo. Anstatt nur zuzuschauen wird weitergewischt, falls eine Passage zu lang ist – direkt erscheint der nächste Inhalt. Diese Form der Interaktion ist für die junge Generation so intuitiv wie der morgendliche Griff zum Handy und passt sehr gut in das moderne Zeitalter.

Das wohl bekannteste Beispiel für Scrollytelling ist das Projekt der New York Times „Snow Fall: The Avalanche at Tunnel Creek“, das das Schicksal von 16 Menschen beleuchtet, die bei einem Ski-Trip von einer Lawine überrascht wurden. Interviews mit den Beteiligten des Unglücks, historische Fotos ähnlicher Situationen aus der Vergangenheit und animierte Sicherheitsvorkehrungen bringen den Leser oder die Leserin mitten ins Geschehen, wie es eine bloße Text- oder Videoreportage nicht schaffen würde. Doch seit Snow Fall 2012 hat sich bei dem Format viel getan. Moderne Beispiele wie „Millenials are screwed“ zeigen, wie allein das Navigieren der Seite aufregend und überraschend gestaltet werden kann und wie weniger, aber stärker genutzter Text, die Gesamtgeschichte nach vorne bringt.

Natürlich gibt es auch im deutschen Raum Scrollytelling-Projekte: Der iGZ hat die aktuelle und sich verschärfende Situation der LKW-Fahrer in einer Reportage dargestellt. In „Berufskraftfahrer gesucht“ wird die Kooperation zwischen dem Mitgliedsunternehmen Lenkzeit und einer Fahrschule näher beleuchtet. Wie diese wieder mehr Fahrer und Fahrerinnen auf die Straße bringt und warum der Weg aus dem Fachkräftemangel immer noch voller Blockaden ist, erfahrt Ihr hier. Es muss aber nicht immer das große gesellschaftliche Thema oder die packende Tragödie sein. Der WDR hat mit seiner Scrollytelling-Reportage über „Onkel Willi“ eine sympathische und lebensnahe Geschichte über einen Menschen erzählt. Dabei helfen die Alltagsgeräusche, der Blick in das traute Heim und die Fotos von früher dabei, sich ein Bild von der Münsteraner Stadtlegende zu machen.

Ihr fragt Euch jetzt:  „Wenn Scrollytelling wirklich so ein großartiges Format ist, warum höre ich jetzt zum ersten Mal davon? Warum macht das nicht einfach jede Zeitung und jeder Sender?“ Die Antwort: So eine Reportage ist einfach eine Menge Arbeit. Aber eine Geschichte so vielseitig, durchgehend spannend und modern zu präsentieren, ist den Mehraufwand in den meisten Fällen einfach wert.

Ein Bild des Autors Georg Buterus.

Über den Autor

Georg Buterus ist seit August 2020 beim iGZ. Er arbeitet als Volontär in der Pressestelle und betreut die Social-Media-Kanäle. Darüber hinaus schreibt er Texte für die Website und Reportagen für die Zdirekt!. Anfang 2020 beendete er erfolgreich sein Bachelorstudium im Kommunikationsmanagement an der Hochschule Osnabrück.

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