Schwarz-grüne Koalition – „Grüne“ Folgen für die Zeitarbeit
2021 steht in Deutschland ein Superwahljahr an. Neben sechs Landtagswahlen soll am 26. September 2021 die nächste Bundestagswahl stattfinden. Schon zu Beginn dieses Jahres lohnt sich daher der Blick auf mögliche Regierungsbündnisse, abseits der bestehenden Großen Koalition.
Bei der regelmäßig vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap durchgeführten Sonntagsfrage zur Bundestagswahl kam Bündnis 90/Die Grünen zuletzt auf 20 Prozent. Zusammen mit der Union, die in den Umfragen bei 36 Prozent lag, erscheint erstmals eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene realistisch. Nicht zuletzt, da laut aktueller Umfragen rund die Hälfte der Wähler in Deutschland ein schwarz-grünes Regierungsbündnis bevorzugt. Daher müssen wir uns auch als iGZ mit den möglichen Konstellationen auseinandersetzen und eine Folgenabschätzung vornehmen.
Eingriffspläne in die Marktwirtschaft
Was würde ein schwarz-grünes, schwerpunktmäßig grünes Bündnis für die Zeitarbeitsbranche bedeuten? Eine Antwort hierauf lässt sich in diversen Papieren und Statements der Partei finden. Erster Anhaltspunkt ist das kürzlich auf dem Grünen-Bundesparteitag beschlossene Grundsatzprogramm „…zu achten und zu schützen…Veränderung schafft Halt.“ Grundsätzlicher Tenor des Programms ist, dass der Staat eine stärkere Rolle bei der Lenkung der Wirtschaft einnehmen soll. Die regulativen Eingriffspläne in die Marktwirtschaft ziehen sich durch alle Bereiche der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch wenn zur Zeitarbeit keine konkreten Forderungen enthalten sind, steht fest, dass die Grünen sich zum Ziel gesetzt haben, flexible Beschäftigungsformen einzudämmen und mehr Regulierungen vorzunehmen. Von veränderten Bestimmungen zur Arbeitszeit, über die Erweiterung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung, bis hin zur Aufhebung von Befristungen. Die Liste der arbeitsmarktpolitischen sowie arbeitsrechtlichen Eingriffe ist lang.
Welche Ziele aber verfolgen die Grünen in puncto Zeitarbeit? Gleich an erster Stelle auf der Homepage der Grünen-Bundestagsfraktion wird die interessierte Leserin fündig: Zeitarbeit wird mit Werkverträgen auf eine Stufe gestellt. Beides, so die Partei, „(…) sind beliebte Methoden, um Personalkosten einzusparen.“ Dieses Vorgehen zulasten der Beschäftigten soll in Zukunft verhindert werden. Darüber hinaus bewertet die Partei die 2017 erfolgte Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) als nicht ausreichend. Auch deswegen fordern die Grünen Equal Pay ab dem 1. Tag und einen Flexibilitätsbonus in Höhe von zehn Prozent, also einen Gehaltszuschlag für Zeitarbeitskräfte. Auch die neu eingeführte gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sorgt laut Grünen für neue „Drehtüreffekte“. Insgesamt stigmatisiert die Partei Zeitarbeit als Dumpinginstrument, um Arbeitnehmerrechte zu umgehen. Zeitarbeit müsse so reguliert werden, dass sie sich nicht mehr eignet, um Kosten zu sparen und Löhne zu drücken. Angesichts dieser Pauschalurteile dürfte es keine Überraschung sein, wenn die Grünen – und das wohlmöglich unabhängig von den konkreten Ergebnissen – mit der Veröffentlichung der AÜG-Evaluation Ende 2021 ihre Forderungen erneut einbringen werden.
Faktenbasierte Politik? Wohl kaum!
Daneben kritisieren immer wieder einzelne Grünen-Bundestagesabgeordnete, dass die Vermittlung in Zeitarbeit nicht nachhaltig sei, Zeitarbeitskräfte ihre berufliche Qualifikation durch Helfertätigkeiten verlieren oder schlicht die Tatsache, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) erfolgreich Arbeitslose in Zeitarbeit vermittelt. Auch werden wiederholt verzerrte Zahlen zu den Entgeltunterschieden von Zeitarbeitnehmern und Stammbeschäftigten verwendet, obwohl die BA bereits seit geraumer Zeit einen bereinigten Pay Gap ausweist, der deutlich niedriger ist und immer noch einen ungeklärten Teil enthält. Vielfach scheint es so, als suche die Partei händeringend nach Argumenten, um das angebliche „Lohndumping-Modell“ Zeitarbeit zurückzudrängen. Eindeutige Fakten aber, die vom iGZ regelmäßig vorgelegt und häufig auf das Gegenteil hinweisen, werden außen vor gelassen. Dazu gehören eine überdurchschnittlich hohe Tarifbindung, eine tarifliche 35-Stundenwoche, sozialpartnerschaftlich verhandelte Branchenzuschläge sowie die wichtige Integrations- und Brückenfunktion für arbeitsmarktferne Menschen – um nur ein paar Aspekte zu nennen. Faktenbasierte Politik geht jedenfalls anders!
Ein Paradebeispiel dieser dem Aktionismus verfallenen Politik ließ sich zuletzt beim Gesetzgebungsprozess zum sogenannten Arbeitsschutzkontrollgesetz beobachten. Mehrfach machten auch Grünen-Politiker, wie die Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke, Zeitarbeit für die unhaltbaren Zustände in der Fleischwirtschaft mit verantwortlich und forderten ein Verbot der Zeitarbeit. Dass es für diese Behauptungen keinerlei Grundlage gibt und selbst die Bundesregierung keine Beweise dafür vorlegen konnte, interessierte kaum jemanden. Auch die zahlreichen iGZ-Stellungnahmen zum Gesetzentwurf und Faktenpapiere zu den Bedingungen in der Zeitarbeitsbranche wurden von den Grünen ignoriert. Das Gesetz wurde schlussendlich Ende Dezember 2020 mit einer befristeten Tariföffnungsklausel für Zeitarbeit im fleischverarbeitenden Gewerbe verabschiedet. Jedoch enthält diese Regelung derart viele Hürden, dass die Anwendung in der Praxis mit einiger Sicherheit ins Leere laufen dürfte. Zudem ist sie komplett von der Verhandlungsbereitschaft der Sozialpartner der Fleischwirtschaft abhängig. Es grenzt daher an Absurdität, dass sich die Abgeordnete Gemmeke selbst dann nicht im Stande sah, den gefundenen Kompromiss zu unterstützen, da sie im zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales dagegen votierte. Leider lässt das vorliegende Ergebnis auch vermuten, dass sich die Unionsparteien innerhalb eines schwarz-grünen Bündnisses höchstwahrscheinlich nicht als Bollwerk gegen Pauschal-Verurteilungen der Zeitarbeit behaupten werden.
All diese Beispiele verdeutlichen, dass ein mögliches schwarz-grünes Regierungsbündnis keineswegs ruhiges Fahrwasser für die Zeitarbeitsbranche bedeutet würde. Insbesondere wenn die Grünen das Ressort Arbeit und Soziales übernehmen, müssen sich Unternehmen auf weitreichende Regulierungsvorhaben einstellen. Auch wenn noch abzuwarten bleibt, ob spezifische Forderungen zur Zeitarbeit im Grünen-Wahlprogramm zur Bundestagswahl aufgestellt werden: Der iGZ bleibt für seine Mitglieder am Ball und wird weiterhin auf der Faktenlage beharren. Zuletzt bleibt zu hoffen, dass eine Regierungsbeteiligung der Grünen und damit die Übernahme von Verantwortung zu mehr Vernunft und realitätsorientierter Politik führen.
Über die Autorin:
Diandra Schlitt arbeitet seit 2020 als politische Referentin im iGZ-Hauptstadtbüro Berlin. Als solche treibt sie den Ausbau von Netzwerken mit relevanten Entscheidungsträgern und Organisationen voran und nimmt an externen Veranstaltungen mit arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkten teil. Außerdem schreibt sie Fachartikel für das Mitarbeitermagazin Zdirekt! und Positionspapiere zu verbandspolitischen Themen.