Rückkehr zum Streit? Die Bundestagswahl und ihre „normale“ Bedeutung

Helmut Schmidt hatte Helga Haftendorn einmal den Begriff „verwaltete Außenpolitik“ gestohlen und von der „Grande Dame der akademischen Außenpolitikforschung“ (Wilfried von Bredow) einen Rüffel hierfür erhalten – er hatte die Politikwissenschaftlerin nicht als Urheberin genannt. Seinerzeit, in den 80er Jahren, ging es um Entscheidungsprozesse unter den existentiellen Bedingungen des Kalten Krieges, als plötzliche politische Bewegungen verheerende Folgen haben konnten.

Helmut Schmidt hatte Helga Haftendorn einmal den Begriff „verwaltete Außenpolitik“ gestohlen und von der „Grande Dame der akademischen Außenpolitikforschung“ (Wilfried von Bredow) einen Rüffel hierfür erhalten – er hatte die Politikwissenschaftlerin nicht als Urheberin genannt. Seinerzeit, in den 80er Jahren, ging es um Entscheidungsprozesse unter den existentiellen Bedingungen des Kalten Krieges, als plötzliche politische Bewegungen verheerende Folgen haben konnten.

In den vergangenen acht Jahren sah man sich öfter versucht, von „verwalteter Politik“ zu sprechen. Soll heißen, dass die Bundesregierungen aus CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Politikstil an den Tag legten, der sich dadurch auszeichnete, dass jegliches Thema Detail für Detail durchgearbeitet wurde – nüchtern, (relativ) leise, mit vielen Detailkompromissen und selten mit griffigen, streitbaren Aussagen. 

Lebendes Aktenumlaufverfahren

Koalitionen aus CDU/CSU und SPD, früher „große Koalitionen“ genannt, fördern diesen Politikstil. Eine große Mehrheit der Wählerschaft wird von den regierenden Parteien abgebildet und viele Konfliktlinien werden von der Regierungsdisziplin überlagert. Hinzu kam das Naturell der Kanzlerin. Wird Kurt Georg Kiesinger, Bundeskanzler der großen Koalition von 1966-1969, von Fachleuten oft als wandelnder Vermittlungsausschuss betitelt, darf man Angela Merkel getrost ein lebendes Aktenumlaufverfahren nennen. Themen wurden zunächst von anderen diskutiert, Forderungen in die eine und die andere Richtung erhoben, später konnte die Regierungschefin dann in elastischen Formulierungen einen Mittelweg verkünden. Nachdem 2013 die FDP den Bundestag verlassen musste, standen dem Verhandlungstanker im Parlament mit den Grünen und der Linken nur noch zwei kleinere Oppositionsboote gegenüber, die lange Zeit kaum Durchschlagskraft entwickeln konnten. 

Leidenschaftliche Debatten Mangelware

An streitfähigen Großthemen hat es in dieser Zeit eigentlich nicht gemangelt. Die sogenannte Flüchtlingskrise bot genügend Aspekte für politische Debatten der Kategorie „wie wollen wir zukünftig leben“ oder „Deutschland in der Welt“. Die Klimafrage war schon immer hierfür geeignet. Die Migrationsdebatte führte dann auch kurzzeitig zu Verstimmungen innerhalb der Union, die in geübten Nachtsitzungen jenseits der Öffentlichkeit über Begriffsfindung eingeebnet wurden. Selbst für eifrig suchende Kommentatoren war es schwierig, Konfliktlinien zwischen oder innerhalb der Parteien klar zu benennen. Öffentliche, leidenschaftliche Debatten mit eindeutigen Positionen, für die scharfe Argumente vorgetragen wurden, blieben selten. Merkels „fokussierte Passivität“ (Karl-Rudolf Korte) blieb unerschütterlich. Zum Schluss kam Corona und die Dimension dieser Herausforderung ließ nur noch Diskussionen über das beste Management des Weges zu, nicht jedoch über richtig oder falsch des Ziels.

Vorher allerdings zog die AfD in den Bundestag ein. Die Parlamentsdebatten und die Debatten im Netz wurden lauter und schriller, angestachelt von einer Partei mit „erkennbarer Verfassungsferne“ (Thomas de Maizière). Mit substantiell-politischen Auseinandersetzungen hat dies nichts gemein. Populistische Phänomene mögen durch die Abwesenheit intensiver politischer Debatten gefördert werden, sie sind aber kein Ersatz.

Demokratien zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie Entwicklungen immer wieder korrigieren – zuvorderst über Wahlen. Nun steht eine Bundestagswahl an, die zwar kein Attribut „historisch“ oder ähnliches verdient. Gleichwohl ist sie (wie jede Wahl) das zentrale demokratische Ereignis für unser Land: Sie verleiht Legitimation, ordnet die politischen Verhältnisse neu und kann ein Katalysator für Neuerungen sein – und in diesem Sinne hat die anstehende Wahl einiges zu bieten. Die amtierende Bundeskanzlerin tritt nicht mehr an, in unserer „Kanzlerdemokratie“ (Karlheinz Niclauß) bereits ein bedeutender Punkt. Die bisherige Koalition aus CDU/CSU und SPD kann derzeit nicht mehr als große Koalition bezeichnet werden und ihre Fortsetzung ist (auch deshalb) nicht wahrscheinlich. Die Koalitionsoptionen sind vielfältig, die künftige Opposition im Bundestag dürfte kräftig und bunt sein. Und schließlich: Es spricht doch so einiges dafür, dass wir von Corona als Thema nicht mehr erdrückt werden. Eine frische Regierungs-Oppositions-Konstellation trifft dann also auf Themenvielfalt. Das sind gute Voraussetzungen, um durch argumentativen Streit und die Anerkennung seines Ergebnisses zu neuen Handlungen zu kommen. So gestalten Demokratien Zukunft und so wehren sie sich gegen populistische Phänomene.

Ein Bild des Autors Benjamin Teutmeyer.

Über den Autor

Dr. Benjamin Teutmeyer ist seit 2016 für den iGZ tätig. Er ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Politische Grundsatzfragen. Vor seiner Tätigkeit für den iGZ war der promovierte Politikwissenschaftler unter anderem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag beschäftigt, zuletzt im Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs a.D. Steffen Kampeter. Hiervor arbeitete er als Redakteur des Bonner Unternehmermagazins. In diesen Funktionen befasst sich Benjamin Teutmeyer seit vielen Jahren mit Fragen der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.