Richtungsentscheidung
Die Bundestagswahlen stehen bevor. Die Bürgerinnen und Bürger stimmen darüber ab, wer die nächste Bundesregierung bilden und welche Agenda gefahren wird.
Aus unternehmerischer Sicht stimmen die Absichten, die sich in den Wahlprogrammen spiegeln, überwiegend nachdenklich. In den Bereichen der Arbeitsmarktpolitik, aber auch der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist wenig davon zu spüren, dass die deutsche Wirtschaft durch die schwerste Krise in der Nachkriegsgeschichte gegangen ist und dieser Weg, bei aller Hoffnung, auch noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Manchmal hilft der Blick aus dem Ausland, um zu verstehen, wo wir stehen. Die New York Times titelte kürzlich: „Merkel leaves the german economy with trouble under the hood.“
Bezogen auf die Zeitarbeit könnte einiger „Trouble“ entstehen, setzte man das um, was in den Wahlprogrammen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken steht und was die Parteien auf unsere Wahlprüffragen geantwortet haben. Die Linke, deren Beteiligung an der nächsten Bundesregierung nicht völlig ausgeschlossen ist, verlangt gleich das Verbot der Branche. Das ist zwar verfassungs- und europarechtswidrig, aber es scheint, als interessiere sich die Linke für solche Spitzfindigkeiten nur wenig. Aber immerhin wollen auch SPD und Grüne, deren Beteiligung an der künftigen Bundesregierung deutlich wahrscheinlicher ist, die Axt an die Tariflandschaft der Zeitarbeit anlegen. Denn die Absicht, ein zwingendes Equal Pay (nach den Grünen plus Flexi-Zulage) ab dem 1. Einsatztag einzuführen, stellt die derzeitige Tarifarchitektur in Frage - Tarif vor Gesetz. Das ist auch ein grundgesetzlicher Auftrag. Die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit haben seit 2003 bewiesen, dass sie in der Lage sind, die Branche tarifpolitisch zu entwickeln. Die Lohnuntergrenze sichert einen Mindestlohn für Zeitarbeitsbeschäftigte, der höher ist als der gesetzliche Mindestlohn. Die Union und die FDP signalisieren eine Anerkennung der Tarifautonomie. Aber wie stark werden die Parteien, um diesen Grundsatz verteidigen zu können?
Bei den seit 2017 bestehenden und jüngst ergänzten neuen Restriktionen in der Zeitarbeit gibt es in den Aussagen der Parteien wenig Neigung, diese wieder rückgängig zu machen. Das betrifft die Einsatzbeschränkungen im Bereich des Bauhauptgewerbes und der Fleischwirtschaft. Die Frage an die Union, ob sie sich für eine Abschaffung dieser Restriktionen einsetzen wird, beantwortet sie mit einem klaren „nein“. Dass die Antwort bei SPD und Grünen gleich ausfällt, überrascht nicht. Die SPD feiert die Einsatzbeschränkung in der Fleischbranche als ihren Erfolg. Einzig die FDP hat die Branche an ihrer Seite und spricht sich immerhin für eine Überprüfung aus.
Bei der Abschaffung der Überlassungshöchstdauer ist in der Union Skepsis feststellbar. Die SPD spricht sich klar dagegen aus. Die Grünen erklären die Überlassungshöchstdauer für „verzichtbar“, wenn ihr Modell von Equal Pay plus Flexi-Zulage umgesetzt wird. Die FDP befürwortet eine Abschaffung. Bei diesem Thema muss allerdings berücksichtigt werden, dass vor dem EuGH ein Vorlageverfahren anhängig zur Auslegung der EU-Leiharbeitsrichtlinie in Bezug auf die Überlassungs-dauer anhängig ist. Aus der in den nächsten Monaten zu erwartenden EuGH-Entscheidung können sich rechtlich zwingende Rückschlüsse für den Gesetzgeber ergeben.
Bei zwei Themen zeichnet sich eine milde Hoffnung auf Besserung ab. Die Union möchte den dauerhaften Zugang zum Kurzarbeitergeld für die Zeitarbeitsbranche prüfen, ebenso wie die FDP. Die Grünen bezeichnen das Anliegen als richtig. Die SPD-Position ist dazu nicht ganz klar. Immerhin scheint auch die Politik parteiübergreifend erkannt zu haben, dass sich die Kurzarbeit auch in der Zeitarbeit bewährt hat. Diese Bewährung sollte man nicht auf Ausnahmeentscheidungen wie in der Pandemie begrenzen.
Auch für eine Änderung der Schriftform für Arbeitnehmerüberlassungsverträge, die die Branche seit Jahren ärgert und die mit der AÜG-Novelle 2017 noch einmal deutlicher hervorgetreten ist, gibt es Zuspruch. Union und FDP sind dafür, die Grünen halten das Anliegen immerhin für nachvollziehbar, nur die SPD sieht darin kein Erfordernis.
Die zentrale Frage aber bleibt: Werden künftig weiterhin die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit oder der Gesetzgeber die Arbeitsbedingungen in der Branche regeln? Insofern ist es durchaus auch bezogen auf die Zeitarbeit eine Richtungsentscheidung. Wir kämpfen, so wie wir es seit 2003 tun, für die Tarifautonomie und das freie Aushandeln der Arbeitsbedingungen in der Zeitarbeitsbranche.
Über den Autor
Dr. jur. Martin Dreyer ist seit 2004 beim iGZ. Er ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer und begleitet die Tarifpolitik sowie die Arbeit in den Projektgruppen. Martin Dreyer ist Mitglied in der Vertreterversammlung der VBG und vertritt die Verbandspolitik gegenüber der Berufsgenossenschaft.