Problem Pauschalvergleich
Verfasst von Diandra Schlitt Im aktuellen Fehlzeiten-Report der AOK heißt es: „Betrachtet man die Fehlzeiten von Zeitarbeitern, so zeigt sich, dass Zeitarbeitsbeschäftigte weniger krankgeschrieben werden als Beschäftigte ohne Zeitarbeitsverhältnis (Krankenstand 4,9 % bzw. 5,4 %). Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte sein, dass Zeitarbeiter eher bereit sind, krank zur Arbeit zu gehen, um die Chancen einer Weiterbeschäftigung nicht zu gefährden.“
Im aktuellen Fehlzeiten-Report der AOK heißt es: „Betrachtet man die Fehlzeiten von Zeitarbeitern, so zeigt sich, dass Zeitarbeitsbeschäftigte weniger krankgeschrieben werden als Beschäftigte ohne Zeitarbeitsverhältnis (Krankenstand 4,9 % bzw. 5,4 %). Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte sein, dass Zeitarbeiter eher bereit sind, krank zur Arbeit zu gehen, um die Chancen einer Weiterbeschäftigung nicht zu gefährden.“
Der iGZ vertritt die Auffassung, dass Forschung zur Zeitarbeit wichtig und notwendig ist, um grundsätzlich mehr Wissen über das komplexe Dreiecksverhältnis zu fördern. Dabei versteht sich der Verband als Branchenexperte, der den Austausch zu Erkenntnisgewinnen aktiv fördert. Daraus leitet sich unter anderem mein Aufgabenbereich als politische Referentin beim iGZ ab, relevante Statistiken und Studien zur Zeitarbeit zu analysieren und zu prüfen. Im Speziellen, ob die Anforderungen, die diese besondere Arbeitsform bereithält, von wissenschaftlicher Seite erfüllt werden.
Dazu gehören unter anderem Berichte von Krankenkassen, die häufig Zahlen in Form von Studien oder regelmäßigen Statistiken zum Krankheitsgeschehen ihrer Versicherten veröffentlichen. Hier erhält man Werte zur Anzahl der Versicherten und dem Krankenstand. Nicht weiter verwunderlich ist dabei, dass einzelne Krankenkassen Werte für die bei ihnen versicherten Zeitarbeitskräfte angeben. Interessant wird es jedoch, wenn diese Ergebnisse Versicherten außerhalb der Zeitarbeit gegenübergestellt und daraus Rückschlüsse zum Verhalten von Zeitarbeitnehmern gezogen werden. So wie bei der AOK zuletzt geschehen.
Das Phänomen krank bei der Arbeit zu erscheinen ist in der wissenschaftlichen Literatur auch als Präsentismus bekannt und wird Zeitarbeitskräften in unterschiedlichen Reports attestiert. Ein besonders absurdes Beispiel ist eine Kurzstudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in der die Autoren für Zeitarbeitnehmer ein hohes Covid-19 Infektionsrisiko feststellen und in der Zusammenfassung die Befürchtung formulieren, dass „[…] es viele weitere Erkrankungsfälle gab, die jedoch aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu einem Arztbesuch bzw. nicht zur Weiterleitung der AU-Bescheinigung führten.“ Als Quelle für diese Behauptung wir dann auf ein Interview im Ärzteblatt verwiesen, in dem es ausschließlich um Werkverträge geht. Dies nur als Hinweis am Rande.
Nun zurück zu der ursprünglichen Aussage. Unabhängig von der Auffassung, ob man heutzutage noch glaubt, dass krank bei der Arbeit zu erscheinen einen positiven Eindruck bei einem potenziellen Arbeitgeber hinterlässt, gibt es ein entscheidendes Problem beim Ausgangspunkt, dem Vergleich. Er erfolgt nämlich pauschal.
Hier wurden versicherte Zeitarbeitnehmer einfach mit den Versicherten außerhalb der Zeitarbeit verglichen und daraus Schlussfolgerungen gezogen. Warum ist das aber nur ansatzweise aussagekräftig? Weil sich beide Personengruppen systematisch voneinander unterscheiden.
Zeitarbeitnehmer sind im Schnitt viel jünger als andere Beschäftigte und arbeiten häufiger in Produktionsberufen. Dabei üben sie häufig Helfertätigkeiten aus und haben öfter als andere Beschäftigte keinen Berufsabschluss. Die Liste an Merkmalen ließe sich an dieser Stelle beliebig weiterführen. Erkennbar wird aber, dass man aufgrund der Unterschiede keinen pauschalen Vergleich der beiden Personengruppen vornehmen kann, um basierend darauf Aussagen über den „Faktor“ Zeitarbeit zu treffen. In unserem Beispiel die Schlussfolgerung, dass Zeitarbeitskräfte möglicherweise häufiger krank zur Arbeit gehen.
Demnach ist der entscheidende Schritt, der bei Vergleichen dieser Art unternommen werden sollte, die Bildung einer geeigneten Vergleichsgruppe. Beschäftigte außerhalb der Zeitarbeit sollten also soweit wie möglich der Beschäftigungsstruktur und den sozio-demographischen Eigenschaften von Zeitarbeitnehmern entsprechen. Im Fall der AOK-Versicherten müsste eine geeignete Untergruppe der Gesamtversicherten gebildet werden.
Wenn wir diese Herangehensweise nun hypothetisch auf die Fehltage der Versicherten anwenden, wird deutlich, dass allein der große Altersunterschied einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen haben könnte. Anders ausgedrückt: Junge Menschen sind im Schnitt weniger krankgeschrieben als Ältere. Ein möglicher Grund für die geringeren Fehltage von Zeitarbeitnehmern könnte somit schlichtweg die Tatsache sein, dass diese Personengruppe überdurchschnittlich jung ist. Rund die Hälfte ist jünger als 35 Jahre. Allein mit der Kontrollierung nach dem Merkmal Alter könnte sich daher der durchschnittliche Krankenstand der beiden Vergleichsgruppen annähern und die vorliegende Interpretation hinfällig machen. Daten der Techniker Krankenkasse zeichnen übrigens ein umgekehrtes Bild. Hier haben Zeitarbeitskräfte einen höheren Krankenstand als Gesamtversicherte. Aber auch hier fehlt eine geeignete Vergleichsgruppe. Es bleiben also noch viele Fragen offen.
Feststeht jedenfalls, dass der iGZ weiterhin den Finger in die Wunde legen und auf die Problematik von Pauschalvergleichen so wie die daraus resultierenden Interpretationen aufmerksam machen wird. Zuletzt hat der iGZ in einem Gutachten des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung untersuchen lassen, welche Ergebnisse solche bereinigten Vergleiche in Bezug auf Entgeltunterschiede (Pay Gap) zwischen Zeitarbeitnehmern und Nicht-Zeitarbeitnehmern hervorbringen und warum auch die statistischen Ämter dieses Verfahren anwenden sollten. Daraus hat sich auch die Idee eines Handbuchs zur Zeitarbeit entwickelt, das wir derzeit erstellen. Hier geht es darum, die wichtigsten Fakten und Grundlagen zur Arbeitnehmerüberlassung in einem Dokument zusammenzutragen und Interessierten zur Verfügung zu stellen.
Über die Autorin
Diandra Schlitt arbeitet seit 2020 als politische Referentin im iGZ-Hauptstadtbüro Berlin. Als solche treibt sie den Ausbau von Netzwerken mit relevanten Entscheidungsträgern und Organisationen voran und nimmt an externen Veranstaltungen mit arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkten teil. Außerdem schreibt sie Fachartikel für das Mitarbeitermagazin Zdirekt! und Positionspapiere zu verbandspolitischen Themen.