Mehr als nur Statistik – Selbstbewusstsein der Zeitarbeitsbranche in Zahlendiskussionen
Die Welt ist komplex und der einzig angemessene Umgang mit dieser Tatsache ist es, sich dieser Komplexität anzunehmen. Vereinfachungen gehören zur politischen Rhetorik, zumal in Wahlkampfzeiten. Sie haben ihre Berechtigung, Wählerinnen und Wähler können sich nicht zu jeder denkbaren Thematik sämtliches zur Verfügung stehende Wissen aneignen und noch die letzte Verästelung jeder möglichen Argumentation nachvollziehen.
Die Welt ist komplex und der einzig angemessene Umgang mit dieser Tatsache ist es, sich dieser Komplexität anzunehmen. Vereinfachungen gehören zur politischen Rhetorik, zumal in Wahlkampfzeiten. Sie haben ihre Berechtigung, Wählerinnen und Wähler können sich nicht zu jeder denkbaren Thematik sämtliches zur Verfügung stehende Wissen aneignen und noch die letzte Verästelung jeder möglichen Argumentation nachvollziehen. Gute demokratische Politik muss sich jedoch an zwei Kriterien orientieren, die sich mitunter (temporär) widersprechen: Die Auffassungen des demokratischen Souveräns müssen beachtet werden, anders geht es nicht (und soll es nicht gehen). Gleichzeitig gibt es in Teilen objektive Fakten, die in sehr komplexen Zusammenhängen berücksichtigt und der Wählerschaft erklärt werden müssen. Es zeichnet demokratische Staatskunst aus, beides miteinander zu verbinden, auch in den Jahren seit der Bundestagswahl 2017 – to whom it may concern. Nur selten berühren die Diskussionen unzweifelhafte, naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Zumeist es auch auf der Faktenebene viel Raum für Interpretation gibt. Selbstverständlich bewegen sich die Auseinandersetzungen hier im Rahmen methodisch zulässiger Grenzen. Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger haben dann die Aufgabe, die vorgetragenen Analysen auszuwerten und abzuwägen.
Theorie…und Praxis
In der Praxis verlaufen politische Diskussionen dann folgendermaßen: Ein Thema kommt auf und jede beteiligte Partei benennt ihre Interessen (weniger Steuern, mehr Steuern, mehr Windräder, weniger Windräder). Unmittelbar stellt sich die Faktenfrage, die von den Beteiligten in der Regel auch mit vorgetragen wird (die Steuersätze sind im Vergleich hoch/niedrig, Windräder können den zu erwartenden Energiebedarf decken/können es nicht). Selbstbewusste Akteure werten vorhandene Daten unter ihren Gesichtspunkten aus und bringen sie in die Diskussion ein. Es geht hierbei nicht um statistische Feinheiten. Die eigentliche Bedeutung tritt hervor, wenn eine betroffene Gruppe sich einer solchen „Zahlenschlacht“ nicht stellt. Sie gleicht einer Partei vor Gericht ohne eigenen Schriftsatz und Anwalt, sie wird zum Objekt der Diskussion anstelle einer treibenden Kraft in der Diskussion. Wer keine eigene Analyse vorlegt, liefert keine Basisarbeit, erfüllt keine Minimalanforderungen. Schnell steht die Wahrnehmung: „Die legen ja noch nicht mal etwas vor.“
Keine Schablone Zeitarbeit
Die Zeitarbeit in Deutschland ist hochkomplex, vielschichtig und auch von (scheinbaren) Widersprüchen geprägt. Sie ist eine wahre Fundgrube für Interpretationen, Argumentationen und analytische Entdeckungen. Einfache Schablonen und Worthülsen erfassen die Zeitarbeit so präzise wie ein Nudelsieb feinsten Sand. Allein der Umstand, dass sich die Zeitarbeitnehmerschaft ca. hälftig in Helfertätigkeiten und hälftig in Fachkraft-, Spezialisten- und Expertenberufe aufteilt und dabei so ziemlich jeden denkbaren Beruf umfasst bewirkt, dass eindimensionale Erklärungsmuster nicht greifen können.
Über längere Zeit war die Zeitarbeit in der öffentlichen Diskussion Objekt anderer Diskutanten. Sie war gleichsam nicht erwachsen, die „richtigen“ Akteure verhandelten über Arbeitsmarktfragen, legten Gutachten über Zukunftsfragen vor, interpretierten die „Realität“. Wenn sie zu dem Ergebnis kamen, die Zeitarbeit sei hier oder dort hilfreich, wurde sie insoweit integriert – sonst nicht. Das steht längst in scharfem Kontrast zur komplexen, facettenreichen Existenz der Zeitarbeit in Deutschland. Die Zeitarbeitsakteure müssen diese Existenz ihrer Branche in den Blick nehmen und nach außen tragen. Wer sich als Experte etabliert, wird in Diskussionen nicht ignoriert. Die Deutungen anderer Akteure können nur uneingeschränkte Dominanz entfalten, wenn sie unwidersprochen bleiben.
iGZ-Wissensdatenbank und Co.
Vor diesem Hintergrund hat der iGZ mehrere Projekte ins Leben gerufen, die das Wissen über die Zeitarbeit heben, zusammentragen und den Zeitarbeitsakteuren zur Verfügung stellen sollen. Eine iGZ-Wissensdatenbank trägt verfügbare Daten über die Branche zusammen und unterzieht sie einer kritischen Prüfung. Ein Forschungsnetzwerk widmet sich der Erschließung neuen Wissens und neuer Wissensquellen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sollen möglichst breit zur Verfügung stehen. Die Zeitarbeit wird auch weiterhin Gegenstand (kontroverser) Debatten sein. In diesen Debatten aber darf niemand an den Wissensträgern in der Zeitarbeit selbst vorbeikommen.
Über den Autor
Dr. Benjamin Teutmeyer ist seit 2016 für den iGZ tätig. Er ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Politische Grundsatzfragen. Vor seiner Tätigkeit für den iGZ war der promovierte Politikwissenschaftler unter anderem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag beschäftigt, zuletzt im Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs a.D. Steffen Kampeter. Hiervor arbeitete er als Redakteur des Bonner Unternehmermagazins. In diesen Funktionen befasst sich Benjamin Teutmeyer seit vielen Jahren mit Fragen der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.