Klares Statement: Tarif vor Gesetz

„Tarif oder Gesetz? Man sollte es ja eigentlich gar nicht meinen, dass in Deutschland jemand in der Politik ernsthaft auf die Idee kommt, die seit Jahrzehnten als Grundfest des Miteinanders von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bewährte Tarifautonomie ernsthaft in Frage zu stellen. Und doch erleben wir das genau jetzt mit dem vorliegenden Koalitionsvertrag hautnah“, sprach Sven Kramer, stellvertretender Bundesvorsitzender des iGZ, anlässlich des iGZ-Rechtsforums in Potsdam das derzeit akuteste Thema der Zeitarbeitsbranche an.

Mit den Vorhaben der Großen Koalition stehe das bewährte Zeitarbeitsmodell auf der Kippe, mahnte er die Politik vor rund 250 Zuhörern zu umsichtigem Handeln. „Beim Equal Pay wird scheinbar völlig verkannt, dass wir bestehende Branchenzuschlagslösungen für den überwiegenden Teil der Zeitarbeitnehmer heute schon haben“, erinnerte er zum Thema Equal Pay nach neun Monaten an die perfekt funktionierende Tarifautonomie.

Einzige Lösung

Er hoffe den Gesetzgeber überzeugen zu können, dass „Tarif vor Gesetz die einzige Lösung ist, die wir in Deutschland vor dem Hintergrund der Sozialen Marktwirtschaft dauerhaft werden akzeptieren können“. Aufgrund der Tarifautonomie, die in Deutschland grundgesetzlich verankert sei, gebe es keinen Grund, weitere gesetzliche Regulierungen anzustreben, eröffnete er das dritte Rechtsforum, das unter der Überschrift „Tarif vor Gesetz: Bewährtes Zeitarbeitsmodell auf der Kippe?“ stand.

Mindestlohnpflicht

iGZ-Geschäftsführer RA Dr. Martin Dreyer stellte dem Plenum im Anschluss die Inhalte des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vor. Unter anderem thematisierte er die Ausweitung der Mindestlohnverpflichtung für die Zeitarbeit – künftig reiche es, wenn branchentypische Tätigkeiten ausgeübt werden. Der fachliche Geltungsbereich entfalle dadurch, kritisierte Dreyer.

Tariffähigkeit

Mit der „Bezugnahme auf die DGB-Tarifverträge der Zeitarbeit und die Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften“ beschäftigte sich Prof. Dr. Frank Bayreuther, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Passau: Zunächst unterschied er zwischen Zuständigkeit und Tariffähigkeit – in diesem Zusammenhang erinnerte Bayreuther an die Christlichen Gewerkschaften, denen vom Bundesarbeitsgericht die Mächtigkeit abgesprochen wurde. Dies könne beim DGB nicht passieren, urteilte er. Der Lehrstuhlinhaber erläuterte zudem Voraussetzungen und Folgen einer fehlenden Tarifzuständigkeit.

Branchenzuschlagstarife etabliert

Die Branchenzuschlagstarifverträge in der Beratungspraxis standen im Fokus eines Interviews mit Stefan Sudmann, Leiter des iGZ-Referats Arbeits- und Tarifrecht. Befragt von Marcel Speker, iGZ-Leiter Kommunikation, erklärte der Anwalt eingangs die Intention und das Zustandekommen der Zuschlagstarife. Seiner Einschätzung nach haben sich die Tarifverträge bereits bewährt und mittlerweile etabliert. Eine der größten Hürden seien zunächst die richtigen Einordnungen der Kundenunternehmen gewesen – mit Merkblättern und Seminaren stand der iGZ seinen Mitgliedern zur Seite und half bei der richtigen Klassifizierung.

Arbeitnehmerbezug

„Höchstüberlassungsdauer erlaubt?“, fragte anschließend Prof. Dr. Martin Franzen, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er nahm die geplanten Beschränkungen der Zeitarbeit mit Blick auf die EU-Zeitarbeitsrichtlinie unter die Lupe. Der Begriff „vorübergehend“ spiele dabei eine zentrale Rolle – es stelle sich die Frage nach dem Arbeitnehmerbezug des Begriffs. Die Definitionen seien nicht vollständig eindeutig und könnten in mehrere Richtungen interpretiert werden.

Streitgespräch

In einem Streitgespräch diskutierten, moderiert von RA Stefan Sudmann, dann Stefan Körzell, Mitglied im DGB-Bundesvorstand, Werner Stolz, iGZ-Hauptgeschäftsführer, und Roland Wolf, Abteilungsleiter Arbeits- und Tarifrecht, BDA, über „Tarif vor Gesetz: Bewährtes Zeitarbeitsmodell auf der Kippe?“.

Sozialschutz

Über die „Regulierung der Zeitarbeit durch Gesetzgeber und Gericht: Auf der Suche nach einem angemessenen Sozialschutz“ referierte schließlich Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard), Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn, bevor Martin Dreyer die Veranstaltung mit einem Schlusswort beendete. (WLI)