Keine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Überlassungshöchstdauer

Zwei entgegenstehende Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zum Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit für Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie (TV LeiZ) im Bundesland sind Ende 2020 ergangen. In beiden Verfahren vertreten die Zeitarbeitnehmer die Auffassung, dass aufgrund des Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis mit dem Kunden entstanden sei, obwohl im TV LeiZ spezielle Regelungen zu höheren Überlassungshöchstdauern (48 Monate) geregelt sind. 

In beiden Verfahren ist Revision eingelegt worden. Die für den 26.01.2022 terminierten Entscheidungen sind allerdings vom Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgehoben worden. 

Hintergrund dürfte eine weitere Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg zur gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und der abweichenden Überlassungshöchstdauer nach dem TV LeiZ Berlin-Brandenburg sein. Das Gericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zur Überlassungshöchstdauer und den Abweichungsmöglichkeiten vorgelegt. Der EuGH wird am 17.03.2022 in diesem Verfahren entscheiden.

Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg 

Die unterschiedlichen Auffassungen der beiden Kammern des LAG Baden-Württemberg beruhen auf einer unterschiedlichen Interpretation der gesetzlichen Regelungen, unter anderem § 1 Absatz 1b Satz 1 AÜG:  

„Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen.“

Diese Regelung bezieht sich auf den Kunden und den Personaldienstleister. Mit der weiteren Regelung in § 1 Absatz 1b Satz 3 AÜG besteht nur für die jeweilige Kundenbranche die Möglichkeit, durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen aufgrund von Tarifverträgen von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer abzuweichen. Nicht aber für die Zeitarbeitsbranche. 

Nach Ansicht der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg soll die abweichende Überlassungshöchstdauer in den TV LeiZ nur für den Kunden gelten, allerdings nicht zugleich für den Personaldienstleister. Der Kunde dürfe denselben Mitarbeiter zwar länger als 18 Monate einsetzen, der Personaldienstleister diesen allerdings nicht länger als 18 Monate überlassen. Nur dann, wenn der Mitarbeiter Mitglied der IG Metall sei, dürfe auch der Personaldienstleister ihn länger als 18 Monate überlassen. Daher gab die 4. Kammer dem Mitarbeiter Recht (Urteil vom 02.12.2020 – 4 Sa 16/20, Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 9 AZR 26/21).

Anders hat die 21. Kammer des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.11.2020 – 21 Sa 12/20, Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 9 AZR 83/21) entschieden, hier zugunsten des beklagten Kunden. 

Der Gesetzgeber habe eine einheitliche Einsatz-/ Überlassungshöchstdauer für Kunden und Personaldienstleister geregelt. Die abweichenden Regelungen im Kundenbetrieb gelten „als Reflex“ auch automatisch für den Personaldienstleister, so dass dieser einen Mitarbeiter auch länger als 18 Monate an denselben Kunden überlassen kann. Ein Mitarbeiter müsse nicht Mitglied in der IG Metall sein. Nach Ansicht der 21. Kammer kann derselbe Mitarbeiter im Ergebnis allein aufgrund der Regelungen in den TV LeiZ länger als 18 Monate an denselben Kunden überlassen werden.  

Bundesagentur für Arbeit 

Beanstandungen sind aktuell nicht bekannt. Aufgrund der Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum AÜG dürften Personaldienstleister auch keine aufsichtsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten haben. 

Prüfungen der Agenturen für Arbeit sollen sich auf die Bereiche konzentrieren, bei denen ein hohes Maß an Rechtssicherheit gegeben ist, insbesondere wenn höchstrichterliche Rechtsprechung existiert (FW AÜG 7.7 Abs. 1, S. 77). Beanstandungen sollen nur dann erfolgen, wenn gesicherte Rechtspositionen zugrunde liegen (FW AÜG 3.1.1 Abs. 1, S. 56). Bei Anwendung von Tarifverträgen gelte außerdem grundsätzlich die Richtigkeitsgewähr, die Prüfkompetenz bei allen tariflichen Regelungen liege ausschließlich bei den Gerichten (FW AÜG 8.5 Nr. 7, S. 88).

Die beiden Kammern des LAG Baden-Württemberg haben entgegenstehend entschieden. Das BAG hat bisher nicht entschieden. Es fehlt an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, von einer gesicherten Rechtsposition kann keine Rede sein. 

Vorlage an den EuGH 

In einem weiteren Verfahren zum TV LeiZ Berlin-Brandenburg bezweifelt das LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 13.05.2020 – 15 Sa 1991/19) die Wirksamkeit der Regelungen zur gesetzlichen Überlassungshöchstdauer. Der Mitarbeiter war in diesem Fall 55 Monate an einen Kunden der ME-Industrie überlassen. 

Das Gericht möchte vom EuGH in erster Linie wissen, was unter einer „vorübergehenden“ Überlassung im Sinne der EU-Leiharbeitsrichtlinie zu verstehen ist. In einer Zusatzfrage möchte das LAG Berlin-Brandenburg allerdings auch wissen, ob die Ausdehnung der Überlassungshöchstdauer überhaupt den Tarifvertragsparteien überlassen werden darf. Und wenn ja, ob dies auch für die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche gilt.

Der EuGH wird am 17.03.2022 in diesem Verfahren unter dem Aktenzeichen C-232/20 entscheiden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der EuGH zur „deutschen“ Überlassungshöchstdauer neue Vorgaben machen wird.

Über den Autor

Sebastian Reinert ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Arbeits- und Tarifrecht. Er ist seit 2010 beim iGZ und berät die Verbandsmitglieder in arbeits- und tarifrechtlichen Fragestellungen.