iGZ-Landeskongress Nord 2012
Vor rund 450 Teilnehmern bekräftigte Wehrli, dass in Deutschland 5,5 Millionen Beschäftigungsverhältnisse beim Entgelt unterhalb des niedrigsten Zeitarbeitstarifs liegen.
Der Unternehmer grenzte nicht nur gegen die wahren Billigheimer ab, sondern distanzierte sich auch von jenen, „die Zeitarbeit allein unter Kostengesichtspunkten betrachten und nicht als Flexibilitätsinstrument und Teil modernen Personalmanagements begreifen und nutzen“. Das schade der Zeitarbeit ganz massiv. An Gewerkschaften und Politik appellierte er: „Nehmt uns bitte als ganz normale Branche - wie jeden anderen Wirtschaftszweig - wahr und lassen Sie uns in Ruhe unsere Arbeit machen.“
http://www.youtube.com/watch?v=GILChMURpWg
Gute und faire Zeitarbeit
Der iGZ – und damit seine Mitgliedschaft - stehe mit seinem Instrumentarium vom Ethikkodex bis hin zur Kontakt- und Schlichtungsstelle (KuSS) für gute und faire Zeitarbeit. Das Engagement dafür sei aber keine One-Man-Show, und deshalb danke er den Landesbeauftragten im Norden, Bettina Schiller, Jürgen Sobotta und Andreas Bückel, für ihren unermüdlichen Einsatz unter der Fahne des iGZ.
Unanständig
Die iGZ-Bundesvorsitzende Ariane Durian legte mit Blick auf die Vorurteile gegen die Zeitarbeit ebenfalls den Finger in die Wunde: „Ich finde es schon einigermaßen unanständig, wenn uns von Gewerkschaftsseiten noch vor dem Inkrafttreten der neuen Branchenzuschlagsregelungen vorgeworfen wird, wir würden diese doch sowieso nicht einhalten.“ Seit dem 1. November liege die Branche noch mehr als bisher unter dem Brennglas gewerkschaftlicher und medialer Beobachtung. „Insbesondere die Sorge um den missbräuchlichen Einsatz von Werkverträgen macht hier die Runde“, erklärte Durian und erinnerte in diesem Zusammenhang an den iGZ-Beschluss, bei Anwendung von Werkverträgen nicht unterhalb des iGZ-DGB-Tarifs zu entlohnen.
Leitbild maßgeblich
„Ich sage ganz deutlich: Im iGZ haben nur Zeitarbeitsunternehmen Platz, für die das Leitbild der Guten Zeitarbeit maßgeblich ist“, unterstrich die iGZ-Vorsitzende. Bei den Branchenzuschlagstarifen sei man auf einem guten Weg – mittlerweile seien Abschlüsse für sieben Branchen getroffen worden, und mit ver.di, so Durian, finden derzeit Sondierungsgespräche statt.
Zeitarbeit 2.0
Dass mit den Branchenzuschlägen für die Zeitarbeit eine neue Ära – Zeitarbeit 2.0 – angebrochen ist, wurde spätestens mit dem Beitrag des iGZ-Hauptgeschäftsführers Werner Stolz offensichtlich: „Stärkung der Tarifautonomie, Chance zur Befriedung der Zeitarbeit, Imagegewinn der Zeitarbeit, dynamische Entlohnungsperspektiven, Wandel vom ,Notnagel´ zur ,Alternative´ und Qualitätssteigerung in der Nachfrage“, zählte er unter anderem die Vorteile der Branchenzuschläge auf. Dafür, so der Hauptgeschäftsführer, gelte es für die Zeitarbeitsunternehmen allerdings auch, einige Nachteile in Kauf nehmen zu müssen: Mit mehr Bürokratie, eventuell unstetigen Gehältern der Zeitarbeitskräfte bei wechselnden Einsätzen, mehr Administration im ALG II-Bereich aufgrund schwankender Einkommen, Anpassung der Verrechnungssätze sowie möglichen Ausweichreaktionen der Kunden müsse gerechnet werden. „Für Geringqualifizierte sowie Langzeitarbeitslose wird es wahrscheinlich schwieriger, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten“, gab Stolz zu bedenken.
Skandalöses Verhalten
Auch der Hauptgeschäftsführer äußerte sich wie seine Vorredner zum Generalverdacht der Gewerkschaften: „Wir meinen es bitterernst, als seriöse Branche behandelt werden zu wollen und es ist ein Skandal, wie wir von den Gewerkschaften diskreditiert werden“, zeigte Stolz Flagge. Zusammenfassend lasse sich indes prognostizieren, dass Zeitarbeit als klassisches Arbeitgebermodell in Deutschland weiterhin eine positive Zukunft haben werde: „Die weitgehende gesellschaftspolitische Befriedung ist gut für die Branche. Wir haben Aussicht auf Verbesserung des Images und mehr Akzeptanz sowie die Chance, als gleichberechtigte Arbeitgeber wahrgenommen zu werden“, richtete er den Blick nach vorn. Notwendig sei nun eine klare Abgrenzung zu anderen Flexibilisierungsinstrumenten wie etwa den Werkverträgen. „Faire Zeitarbeit ist keine Luftblase“, lud Stolz seine Zuhörerschaft ein, den Weg in Richtung einer modernen Zeitarbeits-Zukunft gemeinsam zu gehen.
http://www.youtube.com/watch?v=Iox9uoZkfNw
Intensive Diskussion
Genau diese Zukunft stand im Fokus einer Diskussionsrunde, in der Dr. Rolf Kroker (IW Köln), Thomas Lambusch (Nordmetall-Vorstand), Bettina Schiller (iGZ-Landesbeauftragte Bremen und iGZ-Bundesvorstandsmitglied) sowie Uwe Grund (DGB-Vorsitzender Hamburg) über „Hart am Wind oder im ruhigen Fahrwasser?“ debattierten. Moderiert von Journalist Herbert Schalthoff, stellte Bettina Schiller zunächst die aktuelle Situation in Zeiten stagnierender Märkte dar. Thomas Lambusch verdeutlichte, dass jetzt auch die Kundenunternehmen angesichts der Branchenzuschläge über das künftige Procedere mit der Zeitarbeit und ihre Alternativen nachdenken. Einigkeit herrschte über den hohen Stellenwert der Zeitarbeit als Flexibilisierungsinstrument und als Chance für sowohl Arbeitslose und gering Qualifizierte.
Perspektiven für die Zeitarbeit
„Unter gleicher Flagge“ segelte Ulf Posé, Präsident des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft, und referierte mit seinem gleichnamigen Beitrag über Ethikgrundsätze in der Zeitarbeit. Den Blick über den deutschen Tellerrand in die europäische Wirtschaft richtete Dr. Rolf Kroker (IW Köln) und sprach sowohl über wirtschaftliche Perspektiven als auch Herausforderungen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat Einzug gehalten – Europäische Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt thematisierte Peter Grünheid, Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft, bevor Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, dem Plenum die Themen Rekrutieren, Fördern und Qualifizieren zum Schluss des Landeskongresses erläuterte. Begleitet wurde die Veranstaltung von der Messe „Dienstleister der Zeitarbeit“. (WLI)