Ignorieren von Bildung "grob fahrlässig"

„In den letzten zehn Jahren hat sich der Arbeitsmarkt komplett verändert, wir haben eine eklatante Fachkräftenachfrage und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit langem. Wir müssen die Potenziale in den Regionen, Unternehmen und Belegschaften anders nutzen als in der Vergangenheit“, analysierte Ingo Zenkner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Karlsruhe, im Rahmen einer Podiumsdiskussion beim ersten iGZ-Bildungskongress in Karlsruhe.

Moderiert von Ariane Durian, iGZ-Bundesvorsitzende, sprachen Nicole Munk, Geschäftsführerin GMW Personaldienstleistungen GmbH, Prof. Dr. Markus-Oliver Schwaab, Human Resources Competence Center, Hochschule Pforzheim, Ingo Zenkner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Karlsruhe, und Harald Meyer, Personalleiter mobilcom-debitel GmbH, über den „Sinn oder Unsinn: Qualifizierung oder Entlassung? Wie kooperieren die Bundesagentur für Arbeit, Zeitarbeits- und Kundenunternehmen miteinander?“.

Qualifikationsanalysen

Zenkner stellte in diesem Zusammenhang weiter fest, Weiterbildung werde heute mit Blick auf den Bedarf in den Unternehmen ganz anders gesehen als früher. Es gelte nun, in den Betrieben gemeinsam Qualifikationsanalysen durchzuführen, um Fortbildungspotenzial zusammen zu erarbeiten. Strukturen müssten geschaffen werden, um dann im jeweiligen Unternehmen Fortbildung zu betreiben.

Hilfskräfte im Fokus

Bei Fortbildungen gehe die BA nur individualisiert und nicht nach Zielgruppen vor. Jeder, der Fortbildung brauche, bekomme auch Bildung. Die BA vor Ort investiere dafür fünf Millionen Euro für 1.500 Teilnehmer pro Jahr. Ungelernte Hilfskräfte müssen, so Zenkner, nun stärker in den Fokus genommen werden: „Wir versuchen händeringend, von diesen Menschen Motivation zu bekommen, um Fortbildung mit ihnen zu betreiben. Wer sich nicht darum kümmert und nicht auf Bildung setzt, handelt grob fahrlässig.“

Zweiklassengesellschaft

Harald Meyer ergänzte dazu: „In unserem Unternehmen wird qualifiziert. Das ist auch eine Frage des Controllings. Die Wirtschaft prüft kritisch, wo Bedarfe herrschen und wie viel dafür ausgegeben wird.“ Mitarbeiter zur Weiterbildung zu schicken richte sich höchstens an ganz bestimmte Zielgruppen im Unternehmen. „Wir haben quasi eine Zweiklassengesellschaft: Junge motivierte Akademiker die weitergebildet werden wollen, um Karriere zu machen, und relativ unqualifizierte Kollegen, die kaum selbst aktiv werden“, stellte er fest. Weiterbildung bei Fachspezialisten sei heutzutage sehr teuer. Im Unternehmen sei das Procedere so geregelt, „dass wir Weiterbildungsverträge abschließen: Der Mitarbeiter unterschreibt, dass er selbst zahlen muss, wenn er innerhalb eines gewissen Zeitraums das Unternehmen verlässt“.

Fachspezifische Weiterbildungen

Nicole Munk unterstrich, dass Weiterbildung sowohl von den Arbeitnehmern als auch von den Kunden gefordert werde. Auch für ihr Unternehmen sei das längst Thema - gemeinsame Programme mit der BA, z.B. Sprachkurse, seien tägliche Praxis. „Die Kunden fordern fachspezifische Weiterbildungen, die auch in Kooperation mit BA realisiert werden“, unterstrich Munk. Ihr Unternehmen habe erkannt, dass Fachkräftemangel herrsche. Munk: „Wir müssen die Mitarbeiter fit machen für den Arbeitsmarkt, um sie noch besser und gezielter einsetzen zu können.“ Die Weiterbildung laufe entweder während der Woche in Zusammenarbeit mit dem Kundenbetrieb oder an Samstagen. Mitarbeiter, so die Unternehmerin, werden sich künftig gezielter für Firmen entscheiden, die Weiterbildung anbieten.

Weiterbildungstage

Markus-Oliver Schwaab betonte, Mitarbeiter könnten heute von Unternehmen keine lebenslange Beschäftigung mehr erwarten. Aber die Unternehmen müssten den Mitarbeitern Möglichkeiten bieten, sich gut zu qualifizieren. Im Falle einer nötigen beruflichen Neuorientierung würde das den Mitarbeitern auch die Sicherheit geben, fit für den Arbeitsmarkt zu sein und gute Bewerbungschancen zu haben. „Es gibt Unternehmen, die garantieren ihren Mitarbeitern pro Monat einen Weiterbildungstag, wenn sie ein sinnvolles Lernziel nennen können“, nannte Schwaab ein Beispiel. Unternehmen, die ihr Personal weiterbilden, seien auf jeden Fall als Arbeitgeber zu empfehlen, weil sie gerade junge Menschen aktiv dabei unterstützen, ihren Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu finden.

Fahrlässig

Zenkner ergänzte dazu: „Wenn weiterhin mit den Potenzialen so fahrlässig umgegangen wird, werden wir den Bedarf von sechs Millionen Arbeitskräften bis 2025 nicht hinbekommen. Wir müssen die Jugend in den Arbeitsmarkt bekommen und mit einem gewissen Controlling den Übergang von Schule zu Beruf begleiten.“ Schwaab fügte hinzu: "Die Unternehmen müssen selbst ihre Mitarbeiter qualifizieren und entwickeln – nur dann werden sie als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen. Eine Garantie gegen Abwerbung wird es aber nie geben." (WLI)