Ich habe einen grünen Traum
Ich hatte vergangene Nacht einen Traum: Es ist der 27. September und Annalena Baerbock steht strahlend im kleinen Konferenzzimmer am Platz vor dem Neuen Tor. Im Hauptquartier der Grünen ist der CO2-Austoß gewaltig. ARD, ZDF, aber auch CNN, BBC und der taiwanische Nachrichtensender ETTV News - gefühlt die ganze Welt - wollen von der Wahlsiegerin wissen, mit wem sie koalieren wird. „Das weiß ich noch nicht!“
Ich hatte vergangene Nacht einen Traum: Es ist der 27. September und Annalena Baerbock steht strahlend im kleinen Konferenzzimmer am Platz vor dem Neuen Tor. Im Hauptquartier der Grünen ist der CO2-Austoß gewaltig. ARD, ZDF, aber auch CNN, BBC und der taiwanische Nachrichtensender ETTV News - gefühlt die ganze Welt - wollen von der Wahlsiegerin wissen, mit wem sie koalieren wird. „Das weiß ich noch nicht!“
Die Brandenburgerin hält auch nach dem historischen Wahlereignis an ihrem Leitspruch fest: „Ehrlichkeit, Transparenz und Toleranz.“ Gleich wird sie eine schwarze Limousine des Bundestagsfahrdienstes zum Schloss Bellevue bringen. Rund drei Kilometer entfernt, meist an der Spree lang. Der Blick fällt links zuerst auf das Kanzleramt, die Waschmaschine, wie die Berliner den Prachtbau nennen, von Einheitskanzler Helmut Kohl erdacht und in Zeiten der Bonner Republik, wo alles noch beschaulich und klein war, für zu groß befunden. Damals war Annalena 19 Jahre alt und noch kein Parteimitglied. Erst 2005 stieg sie bei den Grünen ein, parallel zum Masterstudium an der renommierten „London School of Economics and Political Science“. 2013 ging es in den Bundestag, seit 2018 ist die Mutter zweier Töchter Parteichefin – neben Robert Habeck, ehemals Umweltminister in Schleswig-Holstein. Jetzt soll sie Bundekanzlerin werden. Fast in Zeitlupe geht die Fußballanhängerin auf den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu. Ich wache auf! Ein Blick aufs Handy zeigt: Der 1. April, aber dennoch ist die Szenerie kein Scherz.
Bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz, bei der auch nach CSU-Chef Markus Söder und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gefragt wurde, liegt das Spitzenpersonal der Grünen mit ihren Zustimmungswerten noch hinter dem Bayern: Habeck erreicht 19 Prozent bei Männern und 21 Prozent bei Frauen, Baerbock wiederum schafft 18 Prozent bei Frauen und 14 Prozent bei Männern, die Zustimmung zu einem grünen Kanzler wächst – täglich. Dabei kommt das Spitzenpersonal der Grünen bei den Jüngeren besser an als bei den Älteren. Die Top-Werte erzielt Habeck bei jungen Männern im Alter von 18 bis 29 Jahre – 24 Prozent wünschen sich den promivierten Philosophen im Kanzlersessel. Baerbock kommt in diese Gruppe noch besser an: 25 Prozent präferieren sie als Kanzlerin.
Nur wer das Vertrauen der Bürger genießt, wird gewählt, nur wer sich auf seine Minister verlassen kann, bleibt Regierungschef. Die CDU genießt seit bald 16 Jahren das Vertrauen so vieler Menschen, dass sie Mal um Mal Wahlen gewinnen und die Kanzlerin stellen konnte. Aber jetzt schwindet das Vertrauen rapide, die CDU und ihre Schwesterpartei CSU stürzen ab. Das verkorkste Corona-Krisenmanagement, die Korruptionsaffäre um Masken und Diktatorenlobbyismus, die verlorenen Landtagswahlen im Südwesten, die ungeklärte Kanzlerkandidatur, das fehlende Programm für die Bundestagswahl und nun auch noch Angela Merkels schwindende Autorität: Wenn die Union so weitermacht, steht sie in vier Wochen bei 20 Prozent. Und die Grünen werden stärkste Partei! Für einige Alptraum, für andere Hoffnungsschimmer. An elf Landesregierungen sind die Grünen beteiligt, die Schwarzen bringen es nur auf acht. Selbst wenn die neu gewählten Regierungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit der CDU gebildet werden, bleibt die ehemalige Volkspartei dahinter. Den Regierungsauftrag haben sie in beiden Ländern nicht bekommen. Klammheimlich haben sich die Grünen in der Republik unentbehrlich gemacht. Kaum eine Machtoption geht ohne die Klimaverfechter, die es vom linken Rand in die bürgerliche Mitte geschafft haben. Und mit deren Hilfe vielleicht auch am 26. September in Kanzleramt.
Ab April geht es in die heiße Wahlkampfphase: Die Parteien haben sich darauf verständigt, Fragen von Verbänden und anderen transparent und öffentlich zu machen. Die sogenannten Wahlprüfsteine sollen dann bis Ende Juli beantwortet werden. Ein bisher einzigartiger Ansatz. Für den iGZ heißt das: Wir werden schwarz auf weiß haben, wie die Parteien die Zeitarbeit künftig begleiten wollen, mit weiteren Einschränkungen - bis zu Verboten - oder in einem partnerschaftlichen Diskurs hin zu mehr Beschäftigung und Flexibilität.
Über die Autorin
Andrea Resigkeit ist iGZ-Fachbereichsleiterin Politische Grundsatzfragen. Seit dem 1. Juli 2009 leitet Andrea Resigkeit das iGZ-Hauptstadtbüros in Berlin. Sie ist Journalistin und hat für zahlreiche Tageszeitungen und das Fernsehen gearbeitet. Zuvor war sie stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).