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Gemeinsam für gute Bedingungen in der Pflegebranche stehen die Diskussionsteilnehmer Jana Humberdros, Ulrike Schwarzer, Barbara Susec, Nina Böhmer und Jens Issel.

Gute Gründe für die Zeitarbeit

Zeitarbeit in der Pflege gehört nicht verteufelt und wird dringend gebraucht - der Konsens unter den Teilnehmern der Diskussionsrunde beim „Deutschen Pflegetag“ machte den Stellenwert der Personaldienstleistung deutlich. Unter dem Titel „Ein Plus bei der Pflege – Zeitarbeit“ debattierten Ulrike Schwarzer, Beisitzerin im iGZ-Bundesvorstand, Nina Böhmer, Gesundheits- und Krankenpflegerin – selbst in der Zeitarbeit -, Barbara Susec, Gewerkschaftssekretärin bei ver.di für Pflegepolitik und Jana Humberdros, Pflegedirektorin in der Klinik Ernst von Bergmann. Jens Issel, Leiter der iGZ-Kommunikationsabteilung, moderierte die Runde.

Humberdros machte den Personalmangel zu Beginn der Diskussion in ihrer eigenen Station deutlich: „Wir können nur 80 Prozent unserer Stellen besetzen“, dies sei der Fall, seit sie die Stelle 2019 angetreten habe – doch auch davor mangelte es an Mitarbeitenden. Auch deswegen sei das Krankenhaus auf Personaldienstleister angewiesen: „Ich habe täglich Zeitarbeitskräfte im Haus und Gott sei dank auch viele, die gerne zu mir kommen“, schilderte Humberdros die Situation. Einige böten an, ausschließlich beim EvB Klinikum zu arbeiten. Diese Angebote nehme sie gerne an, „weil es sehr gute Arbeitskräfte sind.“ Es werde zunehmend schwieriger, gutes Fachpersonal in der Pflege zu bekommen. Die Arbeitskräfte so gut zu bezahlen, wie Zeitarbeitsbetriebe, können sich die Krankenhäuser nicht leisten, stellte Humberdros klar.

Berufsbild vor dem Aus

Doch nicht die Bezahlung sei ausschlaggebend für die „Flucht der der Arbeitnehmer aus der Pflege“, erklärte Barabara Susec von ver.di. Eine Umfrage der Gewerkschaft hat ergeben: 83 Prozent der Pflegekräfte kann sich nicht vorstellen, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben. Dies läge an der enormen Belastung, unverlässlichen Dienstplänen und der schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Beschäftigte in der Zeitarbeit haben gegenüber dem Stammpersonal oft deutlich bessere Arbeitsbedingungen. „Wir verteufeln die Zeitarbeitnehmer nicht, weil die Kollegen es nicht zur Rente schaffen“, erläutert Susec die Einstellung zur Branche. „Wenn unter guten Bedingungen gearbeitet wird, können sich viel mehr Leute vorstellen, auch bis zur Rente zu bleiben.“ Sie forderte mehr Betriebsräte in den Kliniken und die Ursachen systematisch anzugehen.

Zeitarbeit bietet mehr

Pflegekraft Nina Böhmer entschied sich, auf Rat einer Freundin zur Zeitarbeit zu wechseln. Sie hatte festangestellt - trotz einer kulanten Chefin - nicht genug Zeit und Flexibilität für ihr Privatleben und ihre Beziehung. Sie wollte es zunächst ausprobieren und merkte schnell, die Zeitarbeit kann ihr deutlich mehr bieten. In ihrem Buch über den Pflegenotstand zählt sie die vielen Vorteile auf: Sie verdiene mehr, müsse nicht mehr an Wochenenden und Feiertagen arbeiten, erhalte Zuschüsse und flexible Arbeitszeiten. Aus ihrer Erfahrung lasse sich der Pflegenotstand nicht durch bessere Bezahlungen, sondern durch bessere Arbeitsbedingungen lösen – wie sie die Pflegekraft in der Zeitarbeit erfahren hat. An der tatsächlichen Arbeit ändere ihre Anstellungsform wenig: „Ich beginne den Dienst ganz genau wie jeder andere auf der Station. Ich komme etwas früher, wenn ich mich noch nicht auskenne.“ Den Arbeitsort wechsle sie unterschiedlich schnell. Bei manchen Kliniken bleibe sie fünf, bei anderen 18 Monate, jedoch nie länger aufgrund der Höchstüberlassungsdauer.

Verbotsforderung unverständlich

In der Diskussion zeigt niemand Verständnis für das umstrittene Zeitarbeitsverbot in der Pflege. Ulrike Schwarzer fasste den Tenor zusammen: „Wenn’s nicht so traurig wäre, könnte es sogar lustig sein. Der ursprüngliche Gedanke war wohl, wenn wir Zeitarbeit verbieten, gehen alle wieder zum Stammpersonal.“ Jedoch ändere dies nichts an den Arbeitsbedingungen in den Kliniken. „Es gibt gute Gründe, für den Einsatz als Leasingkraft – ein Verbot hilft dabei gar nicht.“ Krankenpflegerin Böhmer stimmte zu: „Ein Verbot würden den Rest auch noch vertreiben.“ Letztendlich würde die Gesundheitsbranche durch ein Verbot mehr Arbeitskräfte verlieren als gewinnen. „Für viele ist Zeitarbeit die letzte Möglichkeit, noch in diesem Beruf zu arbeiten.“

Wenig Personal – Viel Bedarf

Trotzdem spüren auch Zeitarbeitsbetrieb den Personalmangel in der Pflege, stellte Schwarzer fest: „Wir haben die gleiche Not, wie die Kliniken und die Einrichtungen.“ Viele neue Kollegen fänden ihren Weg über Mund-zu-Mund-Propaganda zur Personaldienstleistung. „Wenn ich sie gut pflege, gut behandle und ihre Wünsche berücksichtige, dann kommen die Leute auch zu uns“, erklärte die Geschäftsführerin ihre Einstellung. Ein Vorteil ihres Betriebs gegenüber gesundheitlichen Anstalten sehe sie in der Schnelligkeit der Prozesse. Innerhalb von zwei Wochen könnten neue Arbeitnehmer ihren Dienst antreten, dies sei in größeren Einrichtungen oft nicht so.

Von den Besten gelernt

In ihrem Krankenhaus schaffe sie das auch, versicherte Pflegedirektorin Humberdros. Ähnlich wie Schwarzer setze sie auf schnelle und einfache Prozesse. Auch weitere Ideen habe sie sich von Zeitarbeitsbetrieben abgeguckt. „Wir zahlen für gesonderte Dienste auf der Intensivstation Zuschläge und setzen auf möglichst flexible Arbeitszeiten.“ Dennoch könne sie nicht den Grad an Flexibilität bieten, den Pflegekräfte bei Personaldienstleistern genießen.

Personalnot nicht Faulheit

In der Freiheit sieht Humberdros auch Probleme: „Jedes Wochenende suche ich Personal, weil Zeitarbeitnehmer nicht am Wochenende arbeiten. Meine Mitarbeiter können sich das nicht aussuchen.“ Ulrike Schwarzer entgegnete diesem Vorwurf entschlossen: „Das stimmt einfach nicht! Ich habe auch Kollegen und Mitarbeiter, die Spätdienste, Wochenenden und Feiertage übernehmen, unter anderem weil wir einen Zuschlag zahlen.“ Intern gäbe es die Regelung: Jeder übernehme zwei Wochenenden im Monat. Humberdros stimmte zu und präzisierte: „Ich habe auch Zeitarbeiter, die am Wochenende und in Spätschichten arbeiten – es sind allerdings nicht genug.“ Diese Erfahrung teilte Schwarzer: „Das liegt nicht daran, dass niemand in der Zeitarbeit am Wochenende arbeitet, sondern am Personalmangel. Wir sind auf einem Markt, wo wir den roten Teppich ausrollen müssen.“

Appell an die Regierung

Die Teilnehmer beendeten die Diskussionrunde mit Forderungen an die Politik: Jana Humberdros appellierte nicht miteinander in Konkurrenz zu gehen, sondern das Berufsbild gemeinsam attraktiver zu machen. Etwa indem Pflegekräfte die Chance erhielten, fünf Jahre früher in Rente zu gehen. Barbara Susec bemängelte die Personaldecke sei in den Einrichtungen momentan so dünn, dass der Laden gerade so noch läuft. Es brauche Verbesserungen, die bei den Arbeitnehmern ankommen. Ulrike Schwarzer forderte die Politik auf, einfach mit Veränderung anzufangen: „Es liegen genug Pläne auf dem Tisch.“ (GB)
 

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