Funktion der Zeitarbeit verändert sich

Die Forscher Hajo Holst, Oliver Nachtwey und Klaus Dörre vom Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind die Autoren der Studie. Sie wurde von der Otto Brenner Stiftung, einer Wissenschaftsstiftung der IG Metall, in Auftrag gegeben und beschreibt einen starken Anstieg der Leiharbeit während des letzten Aufschwungs bis zum Sommer 2008.

Funktion verändert

Zudem soll sich die Funktion der Leiharbeit verändert haben. Dieses Instrument sei bisher vor- wiegend genutzt worden, um auf Auftragsspitzen zu reagieren oder um Personalausfall auszugleichen. Laut der Untersuchung gehen nun immer mehr Betriebe im Zuge der Liberalisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes dazu über, Leiharbeit strategisch zu nutzen, auch um ihren Gewinn zu steigern. Für ihr Vorhaben untersuchten die Soziologen die Nutzung von Leiharbeit in sechs Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Dazu führten sie 72 Interviews mit Stammkräften, Leiharbeitern, Vorgesetzten, Betriebsräten und Personalabteilungen.

Strategische Nutzung

In fünf der sechs Betriebe erkennen sie eine strategische Nutzung der Leiharbeit. In vielen Bereichen stellen Betriebe nur noch Kräfte ein, die schon vorher als Leiharbeiter tätig waren, behaupten die Akademiker. Sie vermuten, dass die strategische Nutzung von Leiharbeit zunehmen und die Menge der Zeitarbeit während der Finanzkrise weiter ansteigen wird: "Leiharbeit wird nicht trotz, sondern vor allem wegen der aktuellen Krise weiter und noch schneller wachsen", heißt es in der Studie. Der Funktionswandel betreffe nicht nur die Leiharbeiter, sondern auch die Stammbelegschaft. Sie werde durch den Einsatz von Leiharbeitern unter Druck gesetzt. Zeitkräfte übernehmen immer häufiger die gleichen Aufgaben wie die Stammarbeiter.

Kernbereich der Belegschaft

Zeitkräfte wandern somit vom Rand in den Kernbereich der Belegschaft. Der Stammbelegschaft werde so vor Augen geführt, dass es mit ihrer Festanstellung schnell vorbei sein kann, dass andere sie jederzeit ersetzen können. Das werten die Verfasser der Studie als Mittel, die Stammarbeiter unter Druck zu setzen. Die Strategie gehe so weit, dass einige Unternehmen die Stammbelegschaft auf die angenommene unterste Grenze der Auslastung reduzieren. Eine normale Produktion sei danach ohne Leiharbeit unmöglich. Wenn die betriebliche Auslastung also über das Minimum hinausgehen soll, muss der Betrieb Zeitkräfte einstellen.

Fester Bestandteil

Somit werden die Leihangestellten mehr oder weniger zum festen Bestandteil der Belegschaft. Die Übernahmechance für den einzelnen Leiharbeiter hingegen bleibe gering. Nur wenige werden fest eingestellt, damit die Motivation der übrigen Zeitkräfte erhalten bleibt. Unternehmen stellen der Studie zufolge also einzelne Leihkräfte als Alibi fest ein - ein klassisches Esel-Möhre-Prinzip also. Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzen- der der IG Metall, warnt vor einer Zunahme von Leiharbeit und stützt sich dabei auf die Untersuchung der Otto Brenner Stiftung: "Ungeschützte prekäre Arbeit kann kein Leitbild für unsere Gesellschaft sein", sagt er. Er befürchtet, dass die Zahl der Zeitarbeiter von 508.000 (Stand Mai 2009) auf 2,5 Millionen Menschen steigen werde, wenn die Politik hier nicht eingreift.

Zu hoch gegriffen

Der Pressesprecher des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, Wolfram Linke, hält die Prognose eines solchen Anstiegs für zu hoch gegriffen: "Diese Zahl ist utopisch. Wenn man sich die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ansieht, erkennt man, dass der Trend in eine andere Richtung geht/' Die Bundesagentur berichtet unter anderem von einem Rückgang der Leiharbeiter seit Sommer 2008. Er gehe deshalb eher von einer Steigerung auf eine Million Menschen insgesamt aus.

Zeitarbeit wandelt sich

Linke erkennt zwar auch eine Veränderung der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, seine Einschätzung deckt sich aber nicht mit der These der Wissenschaftler: "Zeitarbeit wandelt sich ganz klar, allerdings nicht in Richtung Profitmaximierung", meint der Pressesprecher. Der Trend gehe in Richtung qualifizierte Zeitarbeit. "Es wird gezielt nach Fachkräften gesucht. Das ist beispielsweise für Studenten eine gute Möglichkeit, in den Beruf einzusteigen." Außerdem könne man so auf den Fachkräftemangel reagieren. "Die Zeitarbeitsunternehmen bieten vermehrt Weiterbildungsmöglichkeiten an; das klappt derzeit sehr gut." (Lars Otten, Deutsches Handwerksblatt, 05.11.09)