Frühling und Konjunktur - Die einmalige Chance des Wetters
Im Frühling belebt sich die Konjunktur. Die Aussage lässt sich so zwar nicht in Lehrbüchern finden, ist aber fest in den Köpfen vieler Konsumenten, Produzenten und Investoren verankert. Schließlich wird das Wetter besser, die Konsumneigung steigt mit der Laune. Im Freien werden Speisen und Getränke konsumiert, Ausflüge sind an der Tagesordnung und es wird mehr gereist.
Vor diesem Hintergrund mag man vielleicht recht gerne in die alljährlich vorgelegten Frühjahresprognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gucken, um sich auf eine tendenziell erfreuliche Konjunkturphase einzustimmen. Die Prognosen erfüllen den Wunsch nach Aufhellung allerdings nicht immer. Politische Risiken und Produktionshemmnisse in der Industrie werden sich bremsend auf die Konjunktur auswirken, der Aufbau der Beschäftigung wird an Fahrt verlieren und der „langjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist zu Ende“, auch wenn keine tiefgreifende Rezession erwartet wird. So fasste ein Vertreter des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle die Frühjahrsprognose zusammen – die Prognose des Jahres 2019.
Wer sich zu dieser Zeit mit Konjunktur befasste, dem waren Viren weitgehend fremd und umgekehrt. Dann kam Corona. Normalität wurde neu definiert. Das galt auch für die Konjunkturforscher. Die Frühjahrsprognose des Jahres 2020 diskutierte nicht mehr automatische Stabilisatoren, die schwarze Null oder das Rätsel eines unerklärlich langen Wirtschaftsaufschwungs. Stattdessen prognostizierten die Institute die schwerste Rezession seit Beginn der Messungen im Jahr 1970, einen doppelt so hohen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts wie zur Zeit der Weltfinanzkrise 2009.
Die Schwingungen von Angebot und Nachfrage, die das Rad des Marktes mal schneller mal langsamer drehen, litten nicht unter innerer Schwäche. Das Rad hatte noch Energie. Ihm wurde jedoch von außen eine Stange in die Speichen getrieben, die den Namen Lockdown trug und die Menschenleben retten sollte.
Ob Sie es glauben oder nicht, dies alles ist nun schon ein Jahr her. Zwischen der düsteren Prognose und dem heutigen Tage liegen unzählige Maßnahmen, Diskussionen, Beschlüsse, deren Korrekturen und Rücknahmen, Einordnungen, Vermutungen und ihre Widerlegungen. Ja, es kann den Verantwortlichen unterstellt werden, dass sie in diesem Jahr um den besten Weg aus der Pandemie gerungen haben und ja, es kann festgehalten werden, dass hierbei nicht alles bestmöglich funktioniert hat. Vorschläge und Gegenvorschläge drehen sich buchstäblich um existentielle Fragen, im medizinischen und im ökonomischen Sinne – und so schwer es auch fallen mag, dies zu akzeptieren: Die eine Wahrheit, die von den anderen nur nicht gesehen wird, gibt es auch in der Bekämpfung der Coronakrise nicht.
Der Winter und das erste (hoffentlich letzte) Corona-Jahr sind vorbei. Der Frühling naht. Womit wir wieder zu einer Frühjahrsprognose kommen – sie wird für den April erwartet. Und wir kommen wieder zum Wetter, wegen des Frühlings. Aber der Reihe nach. Erste konjunkturprognostische Vorboten der Frühjahrsprognose bieten Hoffnungsschimmer: Die EU-Kommission erwartet Wachstum für den Frühling und für das gesamte Jahr 2021 – für das Jahr ein Wachstum von 3,7 Prozent in der EU. Das Münchner Ifo-Institut misst im Februar den höchsten Wert für Exporterwartungen der deutschen Unternehmen seit dem September 2018. Der Hauptgrund hierfür ist eine deutliche Wachstumserwartung in den Vereinigten Staaten und China. Schon immer war die Zeitarbeitsbranche ein Barometer für die Entwicklung der Gesamtkonjunktur – im Schlechten wie im Guten. Die kürzlich durchgeführte Lünendonk-Blitzumfrage stimmt denn auch in die allgemeine Besserungserwartung ein. Bei aller Unsicherheit erwarten die deutschen Zeitarbeitsunternehmen im Durschnitt ein Wachstum von 5,7 Prozent.
Blicken wir noch einmal auf das Rad namens Markt. Die Konjunkturforscher landauf landab berechnen weiterhin nicht die ihnen sonst so vertrauten Parameter. Die inneren Schwungkräfte des Rads sind sekundär geworden. Sie operieren stattdessen mit der Frage, wie weit die Radspeichen von der Lockdownstange befreit werden können. Das bringt uns zum Wetter: Die Phase höherer Temperaturen im vergangenen Jahr hatte das Virus bereits zurückgedrängt. So unmittelbaren Einfluss auf die Konjunktur hatte das Wetter vermutlich noch nie (möge es sich so richtig ins Zeug legen). Impfkampagnen und neu entwickelte Testmöglichkeiten kommen dieses Jahr hinzu. Lassen Sie uns einen Moment krampfhaft nach etwas Gutem in der momentanen Krise suchen. Ein Rad, das seinen inneren Schwung verloren hat, kann von außen meistens nur mühsam wieder in Schwung gebracht werden. Ein Rad, das sich eigentlich dreht, läuft in dem Moment wieder, wenn es von der Stange zwischen seinen Speichen befreit wurde. Zurzeit sieht es zwar so aus, als würde die Stange nur Stück für Stück entfernt. Dennoch: Dem Virus geht‘s mit Impfungen, Testungen und dem Wetter an den Kragen. Das sind gute Aussichten für das kommende Frühjahrsgutachten und – vor allem – für die Konjunktur.
Über den Autor:
Dr. Benjamin Teutmeyer ist seit 2016 für den iGZ tätig. Er ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Politische Grundsatzfragen. Vor seiner Tätigkeit für den iGZ war der promovierte Politikwissenschaftler unter anderem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag beschäftigt, zuletzt im Büro des Parlamentarischen Staatssekretärs a.D. Steffen Kampeter. Hiervor arbeitete er als Redakteur des Bonner Unternehmermagazins. In diesen Funktionen befasst sich Benjamin Teutmeyer seit vielen Jahren mit Fragen der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.