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EU-Zeitarbeitsrichtlinie - Hoffen oder Bangen?

Die EU-Zeitarbeitsrichtlinie führt, auch nach deren Inkrafttreten zu sehr unterschiedlichen Beurteilungen darüber, was sich tatsächlich in Deutschland tun muss, um den Anforderungen der Richtlinie Nr. 10599/08 zu entsprechen. Das Spektrum der Erwartungen für die Zukunft reicht hierbei von künftig alleinigem equal pay und equal treatment bis hin zu keinerlei Änderungen im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsrecht.

Wahrheit dazwischen

Während manche bangen, haben andere große Hoffnung in die Zukunft. Doch wie sooft im Leben, liegt die Wahrheit dazwischen. Der Fachexperte und Branchenkenner, Rechtsanwalt Dr. Oliver Bertram (KLEINER RECHTSANWÄLTE Düsseldorf) hat nun in seinem aktuellen Aufsatz (vgl. AIP 11 / 2008) "Die EU-Richtlinie zu Zeitarbeit Neue Impulse oder nur Einschränkungen" die EU-Richtlinie im Hinblick auf das aktuelle Arbeitnehmerüberlassungsrecht detailliert unter die Lupe genommen, um die Fragen zu den tatsächlichen Veränderungen für die Zeitarbeit im Lichte der neuen EU-Zeitarbeitsrichtlinie näher zu erläutern.

Ausreichende Regelung?

In Art 5 Abs.1 der EU-Zeitarbeitsrichtlinie (EURiLi) ist das Gleichbehandlungsgebot normiert. Art 5 Abs.2 EURiLi sieht aber Ausnahmen von der Verpflichtung der Umsetzung des Gleichbehandlungsgebots vor, wenn entsprechende nationale Regelungen der EU-Mitgliedstaaten, seien es gesetzliche oder tarifvertragliche zumindest folgende drei Maßgaben einhalten, d.h. wenn 1. Abweichungen vom equal treatment nur im Rahmen des Arbeitsentgelts erfolgen, 2. equal treatment-Abweichungen nur für unbefristete Arbeitsverhältnisse gelten und 3. Zeitarbeitnehmer auch zwischen zwei Einsätzen bezahlt werden. Diesen Anforderungen werden die deutschen AÜG-Regelungen grundsätzlich ausreichend gerecht. Es besteht damit so die detaillierte Analyse von Oliver Bertram kein Bedarf, gesetzliche Änderungen im AÜG bezüglich des Systems der Tarifvorbehalte und der bestehenden Zeitarbeitstarife vor zu nehmen.

Begrenzung

Nur die Begrenzung der equal treatment-Ausnahme ausschließlich für unbefristete Arbeitsverhältnissen bedarf hier im Lichte der neuen EUZeitarbeitsrichtlinie wohl noch der Umsetzung. EU-Richtlinie bringt Klarheit zu wichtigen auch im AÜG enthaltenen Begriffen Während das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsrecht die für die Frage von equal pay und equal treatment maßgeblichen Begriffe der wesentlichen Arbeitsbedingungen sowie der vergleichbaren Arbeitnehmer weitgehend offen lässt bzw. nicht einschränkt, sieht die EU-Zeitarbeitsrichtlinie deutlich genauere bzw. einschränkender Definitionen vor.

Wesentliche Arbeitsbedingungen

Bei dem Begriff der wesentlichen Arbeitsbedingungen wird in Art 3 Abs.1 f) der EURiLi auf diejenigen Arbeitsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige Bestimmungen allgemeiner Art festgelegt sind, abgestellt. Entscheidend sind die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage sowie Arbeitsentgelt. Damit ist der deutsche Gesetzgeber mit seinem deutlich umfassenderen equal treatment-Gebot im AÜG aber erkennbar über die EU-Vorgaben hinaus gegangen, was den EU-Mitgliedsstaaten aber nach Art 9 Abs. 1 EURiLi zugunsten des Zeitarbeitnehmers möglich ist. Die genaue Definition der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer lässt der Wortlaut in § 3 Ab.1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG weitgehend offen.

Abweichende Regelung

In der Gesetzesbegründung zum AÜG lässt sich dann aber entnehmen, dass die deutsche Regelung hier deutlich von der EU-Richtlinie abweicht. Während die Vergleichsbetrachtung im deutschen Recht ausschließlich an die vom Zeitarbeitnehmer und dem Stammarbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten anknüpft, stellt Art 5 Abs.1 der EURiLi auf eine hypothetische Betrachtungsweise ab, die die individuellen Merkmale der Zeitarbeitnehmers, insbesondere seine Qualifikation und Berufserfahrung, berücksichtigt. Ein seit 20 Jahren beim Kunden tätiger Stammmitarbeiter ist damit nicht mit einem Leiharbeitnehmer, der Berufsanfänger ist, vergleichbar. Die Gerichte werden sich hier bei Auslegungsfragen an der Vorgabe der EU-Begriffsdefinition künftig zu orientieren haben.

Änderungen im Betriebsverfassungsrecht nicht erforderlich

Die Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer bei den für die Einrichtung von Arbeitnehmervertretern maßgeblichen Schwellenwerte sind in Art 7 Abs. 1 und 2 der EURiLi für das Zeitarbeitsunternehmen zwingend und für den Kundenbetrieb fakultativ festgelegt und sind damit im Einklang mit § 14 Abs. 1 AÜG (für Verleihbetrieb) und § 7 S.2 BetrVG (ab dreimonatigem Einsatz im Kundenbetrieb). Insoweit entspricht das deutsche AÜG in der Frage der kollektivarbeitsrechtlichen Behandlung von Zeitarbeitnehmern den europäischen Vorgaben.

Ausnahmeregelung bei Arbeitslosigkeit nicht im Einklang

Soweit § 3 I Nr. 3 S.1 2.HS AÜG eine Ausnahme von der Gleichstellung des Zeitarbeitnehmers auch bezüglich der Arbeitsbedingungen dadurch ermöglicht, dass dem zuvor arbeitslosen Zeitarbeitnehmer während einer Höchstdauer von sechs Überlassungswochen lediglich ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe des vorherigen Arbeitslosengeldes gewährt wird, steht dies nicht im Einklang mit Art 5 I der EURiLi. Die EU-Richtlinie lässt eine solche Ausnahmeregelung nämlich nur in Bezug auf das Arbeitsentgelt zu, nicht aber gleichzeitig auch bezüglich der gleichen Arbeitsbedingungen. Insoweit resümiert Oliver Bertram die erforderliche Streichung dieses Ausnahmetatbestands im deutschen AÜG, wobei sicherlich auch eine Änderung im Sinne einer Beschränkung auf das Arbeitsentgelt möglich ist.

Überlassung ins Baugewerbe zulässig?

Ob die Verbote bzw. Einschränkungen der Überlassung ins Bauhauptgewerbe (§ 1b AÜG) und im Werkverkehr (§ 1 Abs.3 GüKG) im Hinblick auf die Regelung in Art 4 Abs.1 der EURiLi noch zu rechtfertigen sind ist sehr fraglich. Nach Art. 4 Abs. 1 der Zeitarbeits-Richtlinie sind Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern nur noch aus Gründen des Allgemeininteresses, vor allem des Schutzes der Zeitarbeitnehmer, der Erfordernisse von Gesundheitsschutz und der Sicherheit am Arbeitsplatz sowie der Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, gerechtfertigt. Betrachtet man die deutschen Einschränkungen für das Baugewerbe und den Werkverkehr, die es außer in Deutschland nirgendwo in der EU gibt, unter diesen Voraussetzungen, werden dieser Verbote kaum mehr aufrecht zu erhalten sein.

Sollten hier jedoch keine Änderungen durch den deutschen Gesetzgeber, was zu befürchten bleibt, erfolgen, wäre ein Verstoß aber erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Jahr 2011 durch ein Zeitarbeitsunternehmen aus anderem EUStaat beim EUGH zu Fall zu bringen, wie der AÜG und EUExperte Oliver Bertram klarstellt.

Pflicht zur Information

Die neue EURichtlinie legt in Art 6 Abs.1 S.2 fest, dass der Zeitarbeitnehmer über die beim Kunden offenen Stellen zu unterrichten ist, damit gleiche Chancen im Vergleich zu den Stammarbeitern auf eine Arbeitsplatz beim Kunden besteht. Wer diese Informationspflicht zu erfüllen hat, bleibt nach dem Wortlaut der Richtlinie offen, wobei die Regelung erkennen lässt, dass der Kunde diese Verpflichtung zu erfüllen hat. Diese im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsrecht fehlende Regelung wird so Oliver Bertram in seinem Beitrag noch in das deutsche AÜG umzusetzen sein.

Entgelt für die Vermittlung von Zeitarbeitnehmern

Wie auch in § 9 Nr. 3 und 4 AÜG verbietet Art 6 Abs.3 der EURiLi vom Zeitarbeitnehmer eine Vermittlungsgebühr zu verlangen, wenn dieser vom Kunden übernommen wird. Die Vereinbarung einer Vermittlungsgebühr ist in Art. 6 Abs.2 S.2 der EURiLi nicht verboten, sondern nur wie auch in § 9 Nr. 3 2. Hs. AÜG deutlich beschränkt. So sieht die neue Zeitarbeitsrichtlinie vor, dass ein Entgelt für eine erfolgte Übernahme nur insoweit zulässig ist, als dieses Entgelt ein Ausgleich für die gegenüber dem Kunden erbrachten Dienstleistungen in Bezug auf Überlassung, Einstellung und Ausbildung darstellt.

Pauschale Vermittlungshonorare ohne Orientierung an dem konkreten Aufwand für Einstellung und Überlassung dürften damit künftig kaum mehr europarechtlich gerechtfertigt sein, wie dies Oliver Bertram in seinem Beitrag klarstellt. Die Frage der in § 9 Nr. 3 2.HS AÜG zulässigen angemessenen Vergütung wird damit am Maßstab des Art. 6 Abs.2 S.2 EURiLi zu messen sein und vor Gericht im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung Berücksichtigung finden.

Künftig neu:

Zugang der Zeitarbeitskräfte zu Sozialeinrichtungen der Kunden Bedeutsamste Konsequenz und wichtigste Neuerung für das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsrecht, so Oliver Bertram, ist der Zugang der Zeitarbeitskräfte zu den Sozialeinrichtungen im Einsatz bzw. Kundenbetrieb gem. Art. 6 Abs.4 RiLi, der nicht unter Tarifvorbehalt steht und damit nicht durch tarifvertragliche Lösungen abgedungen oder geändert werden kann. Die deutschen Zeitarbeitnehmer werden damit spätestens ab 2011 in den Kundenunternehmen zu den gleichen Bedingungen wie das Stammpersonal Zugang zu den Sozialeinrichtungen, insbesondere Kantinen, Kinderbetreuungseinrichtungen (WerkKitas) und Beförderungsmöglichkeiten, zu gewähren sein.

Kostenverteilung

Wie die Kosten hierfür verteilt werden und wie sich dies auf die Verrechnungssätze auswirkt, bleibt abzuwarten. Gesamtresümee Die Zeitarbeitsrichtlinie wird keine großen Änderungen des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsrechts herbeiführen. Die Zeitarbeitnehmer sowie die Zeitarbeitsunternehmen können durch die EURegelungen keine neuen Impulse für den deutschen Zeitarbeitsmarkt erwarten. Wie und wann die wenigen vorstehend angesprochenen Anpassungen erfolgen, bleibt abzuwarten.