Erstes Zeugnis für die Ampelkoalition
Sommerzeit ist Ferienzeit. Und mit Beginn der Schulferien werden bekanntermaßen Zeugnisse verteilt. Was für Schüler und Schülerinnen meist eine lästige Angelegenheit ist – zumal das Zeugnis noch den Eltern zur Unterschrift vorgelegt werden muss - dürfte auch für die Mitglieder der aktuellen Bundesregierung keine ganz angenehme Sache sein. Als eine Art „Zeugnisaussteller“ versuche ich mich daher aus Sicht des iGZ an einer ersten Zwischenbilanz der Ampelkoalition.
Kein einfacher Start
Alle Wähler und Wählerinnen dürften wohl zustimmen, dass die neue Regierung, seit Dezember 2021 im Amt, keinen einfachen Start hatte. Die Corona-Pandemie rollte im Winter in einer weiteren Welle über das Land und seit dem 24. Februar 2022 – dem Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine – erleben wir in nahezu allen Bereichen die viel zitierte Zeitenwende. Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Neben einer galoppierenden Inflation, internationalen Lieferkettenproblemen, haben wir wachsende Sorgen, dass eine ausreichende Energieversorgung im Winter gefährdet ist. Entlastungspakete in Milliardenhöhe wurden geschnürt. Ein Einhalten der Schuldenbremse ab 2023 scheint nicht in Sicht. Darüber hinaus gilt es eine neue Rolle Deutschlands – geoökonomisch wie -strategisch – zu definieren und umzusetzen. Die Krise ist zum Dauerzustand, die Koalition zum Krisenmanager mutiert.
Maßstab definieren
All dies muss bei einer Zwischenbilanz natürlich berücksichtigt werden. Trotzdem gilt es einen Maßstab zu definieren, um den Gestaltungswillen und -erfolg der Koalition zu bewerten. Vieles haben sich die Koalitionäre, die sich auch gerne als Modernisierungskoalition verstehen, in ihrem gemeinsamen Vertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ vorgenommen. Nicht nur inhaltlich haben die Partner beschlossen weitreichende Änderungen bis 2025 umzusetzen. Auch in Stilfragen will sich die Koalition merklich von ihren Vorgängern abheben. Zudem soll es bei zentralen gesellschaftspolitischen Fragestellungen vorangehen.
Zentrales Versprechen
Was hat sich also inhaltlich getan? Mit dem Beschluss zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro wurde bereits ein zentrales Versprechen und nebenbei Wahlkampthema der SPD umgesetzt. Ab 1. Oktober gilt dieser bundesweit. Positiv hervorzuheben ist, dass mit Entscheidungen zu relevanten gesellschaftspolitischen Themen, wie die Aufhebung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche oder die Änderungen des Selbstbestimmungsgesetz, die Gesetzeslage an die Lebenswirklichkeiten der Menschen in diesem Land angepasst wurde. Dennoch scheint es grundsätzlich so, dass kleinteilige Kompromisse, bei denen jeder seine Erfolgsstory erzählen kann, zur Maßgabe der Koalition werden. Damit verliert man sich aber zunehmend im Klein-Klein der Politik und das große Ganze gerät aus dem Blickfeld. Ein Beispiel hierfür ist das umfangreiche Entlastungspaket für Verbraucher und Verbraucherinnen aufgrund der starken Preiserhöhungen im Energie- und Lebensmittelsektor. Aber auch bei arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorhaben, die vor allem für den iGZ und seine Mitglieder relevant sind, scheint die Wahrung des Koalitionsfriedens über allem zu stehen.
Neue Vorgaben
Bestes Beispiel war zuletzt die Umsetzung der sogenannten Arbeitsbedingungen-Richtlinie. Hier geht es um neue Vorgaben seitens der Europäischen Union zu transparenten und verlässlichen Arbeitsbedingungen für Beschäftigte. Das Ergebnis lässt aus iGZ-Sicht jedoch zu wünschen übrig. Obwohl sich die Ampelkoalition ein Mehr an Digitalisierung sowie Entbürokratisierung ins Pflichtenheft geschrieben hat, hat sie von der Möglichkeit, Nachweise (bspw. den Arbeitsvertrag) in elektronischer Form bereitzustellen, kein Gebrauch gemacht. Im Gegenteil, an antiquierten Schriftformerfordernissen wurde festgehalten und manche Regelung sogar noch verschärft. Nach einer Fortschrittskoalition sieht das zumindest nicht aus.
Kommunikationsansätze
Aber auch in Stilfragen bleiben die Koalitionspartner hinter den Erwartungen zurück. Während „Scholzomat“ und „Scholzen“ – also ausweichen statt antworten – mittlerweile gängige Begriffe sind, bemüht sich Vizekanzler Habeck um eine möglichst differenzierte Herangehensweise, seine Entscheidungen der breiten Öffentlichkeit zu erklären. Zusammenpassen tun beide Kommunikationsansätze allerdings nicht. Auch aus der Absicht, keine langwierigen Nachtsitzungen abzuhalten, bei denen am Ende zum Teil fragwürdige Ergebnisse herauskommen können (Stichwort Osterruhe unter Merkel), wurde nichts.
Zwischenbilanz
Aber was bedeutet das zusammengenommen für eine erste Zwischenbilanz? Am besten ziehen wir die Meinung der Wähler und Wählerinnen zu Rate. Als erstes und grundlegendes Problem dabei fällt auf, dass die Bewertung der Koalitionspartner sehr unterschiedlich ausfällt. Während die Grünen und allen voran Robert Habeck und Annalena Baerbock in den Umfragen deutlich gestiegen sind (infratest dimap 24.06.2022: 23 Prozent) und die SPD überholt haben (20 Prozent), stürzen die anderen Koalitionspartner ab. Mit zwei verlorenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gerät die FDP im Bund zunehmend unter Druck. Die Abgrenzung zu einem konservativeren CDU-Image unter Friedrich Merz fällt sichtlich schwer. Gleichzeitig sind die Beliebtheitswerte von Kanzler Scholz seit seinem Amtsantritt dramatisch gesunken. Konflikte treten nun häufiger an die Oberfläche, wie zuletzt der Streit um das EU-Aus von Verbrennerautos ab 2035.
Gemeinsamer Wille
Besteht also Versetzungsgefahr? Vorerst eher nicht. Der gemeinsame Wille bis Herbst 2025 an der Macht zu bleiben überwiegt (noch). Wohl auch, weil sich in den Ländern erneut gezeigt hat, dass Wähler und Wählerinnen durchaus volatil sind – Zwischenzeugnisse sich also von einem zum anderen Bewertungszeitpunkt verändern können – und die Veränderungsdynamik in nächster Zeit sogar noch zunehmen dürfte.