Die Corona-Arbeitsschutzverordnung – „New Normal“ vs. „Old Normal“
Die umgangssprachlich verkürzt als solche bezeichnete „Homeoffice-Pflicht“ ist geregelt in der Corona-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchVO). Sie ist am 22.01.2021 verkündet worden, am 27.01.2021 in Kraft getreten und gilt bis zum 15.03.2021. Eine Verlängerung ist möglich.
Die Corona-Arbeitsschutzverordnung umfasst neue Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie:
- Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Beschäftigten das Arbeiten von zu Hause anzubieten, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Umfasst von der Verpflichtung sind Büro- oder vergleichbare Tätigkeiten.
- Betriebsbedingte Zusammenkünfte mehrerer Personen sind auf ein Minimum zu reduzieren, wobei eine Mindestfläche von 10 m2 für jede Person nicht unterschritten werden darf. Wenn die Tätigkeit dies nicht zulässt, müssen andere geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
- In Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten sollen möglichst kleine Arbeitsgruppen gebildet werden, um Personenkontakte weiter zu verringern und eine schnelle Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten.
- Für das Arbeiten im Betrieb müssen Arbeitgeber medizinische Gesichtsmasken oder FFP2-Masken zur Verfügung stellen, wenn die Anforderungen an Räume oder Abstand nicht eingehalten werden können oder bei der Ausführung der Tätigkeiten mit erhöhtem Aerosolausstoß zu rechnen ist.
Die bisherigen Regelungen zum Arbeitsschutz bestehen unverändert fort:
- Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m zu anderen Personen; Tragen von Mund-Nasen-Schutz, wo dies nicht möglich ist
- In Kantinen und Pausenräumen Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m
- Bereitstellung von Flüssigseife und Handtuchspendern
- Regelmäßiges Lüften
Ein gute Übersicht bieten die FAQ und die Informationsseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).
Mit Erleichterung habe ich als Rechtsexperte des iGZ aufgenommen, dass die RKI-inzidenzwertabhängigen Verschärfungen (u.a. Testpflicht) des Referentenentwurfes wieder gestrichen wurden. Die Testverpflichtung hätte in unserer Branche zu erheblichen Schwierigkeiten führen können.
„Homeoffice“
Kernstück der neuen Regelung ist § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchVO
„Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.“
Die arbeitsschutzrechtliche Verpflichtung bezieht sich dem Wortlaut nach darauf, dass der Arbeitgeber das Arbeiten im „Homeoffice“ unter den genannten Voraussetzungen anbieten muss.
Wer nun befürchtet, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales damit einen weiteren Versuch gestartet habe, das Arbeiten von zu Hause und Ansprüche darauf zu regeln, wird angenehm enttäuscht.
Die Ausgestaltung der Regelung schließt kein subjektives Klagerecht des Arbeitnehmers ein (vgl. Begründung zur § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchVO), er kann also kein subjektives Recht auf Homeoffice geltend machen. Damit begrenzt sich die rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers auf eine Überprüfung der Möglichkeit der Verlagerung. Die Entscheidung über die Eignung bzw. evtl. entgegenstehende Gründe trifft der Arbeitgeber (vgl. Nr. 2.2. der FAQ). Dem Arbeitnehmer steht lediglich ein Beschwerderecht nach § 17 ArbSchG zu. Ob Meldungen bei den Behörden oder den Berufsgenossenschaften bei Unterlassung der Prüfung erfolgen, kann noch nicht abgeschätzt werden. Die Presse ordnet die Verordnung als Papiertiger ein (Spiegel, Abruf vom 23.01.2021).
„Bürotätigkeit oder vergleichbare Tätigkeiten“
Laut FAQ des BMAS sind mit Büroarbeit vergleichbare Tätigkeiten in der Regel solche, „die unter Verwendung von Informationstechnologien von zu Hause aus erledigt werden können“. Die „Nutzung von Informationstechnologien“ dürfte der Beschreibung dienen, denkbar sind daher auch Tätigkeiten, die ohne IT-Technik erbracht werden können.
Ich gehe davon aus, dass es bei der Bestimmung der Tätigkeiten keine Probleme in der Praxis geben wird.
„keine Verpflichtung für die Arbeitnehmer“
Eine Verpflichtung von zu Hause zu arbeiten besteht für die Arbeitnehmer nicht (Nr. 2.5. der FAQ).
„zwingende betriebsbedingte Gründe“
In der Verordnung, aber auch in der Begründung zur Verordnung finden sich zu den „zwingenden betriebsbedingten Gründen“, die gegen die Tätigkeit im Homeoffice sprechen, keine weiteren Ausführungen. Allenfalls die FAQ bieten Anhaltspunkte hierzu. Die FAQ schließen Tätigkeiten aus, bei denen „nachvollziehbare betriebstechnische Gründe vorliegen, die gegen eine Verlagerung ins Homeoffice sprechen“. Die FAQ nennen „Betriebsabläufe [die] sonst erheblich eingeschränkt würden oder gar nicht aufrechterhalten werden könnten“ sowie organisatorische und rechtliche Beschränkungen mit Beispielen.
Eine abschließende Beratung ist hier noch nicht möglich. Aufgrund der aktuell vorliegenden Informationen gehe ich aber davon aus, dass der jeweilige individuelle Arbeitsplatz zu prüfen ist und absolut triftige Gründe vorliegen müssen, die gegen das Homeoffice sprechen:
- Die Tätigkeit erfordert eine zwingende physische Anwesenheit, z.B. Postbearbeitung, Rechnungslegung.
- Einschlägige datenschutzrechtliche Vorschriften sprechen gegen eine Bearbeitung im Homeoffice, weil die Vertraulichkeit belegbar nicht sichergestellt werden kann.
- Der Zugriff auf Systeme oder die technische Ausstattung kann nicht ausreichend sichergestellt werden.
- Eine Zusammenarbeit mit anderen Personen ist absolut notwendig, z.B. bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter.
Ein wichtiger Punkt dürfte aber sein, ob in der Vergangenheit bereits im Homeoffice gearbeitet wurde.
Aber auch wenn – ausnahmsweise – Gründe gegen das Anbieten von Homeoffice sprechen, sind dennoch Maßnahmen zu ergreifen, die zur Kontaktreduzierung führen. So müssen Arbeiten, die die Anwesenheit im Betrieb erfordern, so organisiert werden, dass die Anwesenheiten auf ein Minimum reduziert werden (Bsp.: Die Rechnungslegung erfolgte bisher täglich, kann aber auch auf einen Tag in der Woche beschränkt werden). Gleiches gilt z.B. für datenschutzrechtliche Anforderungen. Auch hier muss geprüft werden, ob die Arbeit so gestaltet werden kann, dass zumindest teilweise von zu Hause aus gearbeitet werden kann und Kontakte im Betrieb auf das Mindestmaß beschränkt werden können.
Ausweislich der FAQ ist eine fehlende technische Ausstattung kein Grund (z.B. fehlendes Notebook), sondern muss behoben werden. Gleiches gilt für fehlende Qualifizierungen. Bisher sind aber keine Anhaltspunkte ersichtlich, was für den Arbeitgeber an technischen Vorkehrungen zumutbar ist. Hier geben die Verordnungsbegründung und FAQ allenfalls einen Hinweis. Zumutbar dürften „normale“ Informationstechnologien sein, wie ein Notebook oder ein Monitor. Kein Anspruch besteht auf die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes im Sinne der Arbeitsstättenverordnung.
Nicht mittelbar zu den betrieblichen Gründen gehören Einschränkungen auf Seiten des Arbeitnehmers, sie können sich aber in einem betrieblichen Grund niederschlagen, z.B. die fehlende Leistung des Internetanschlusses oder räumliche Enge.
Fazit
Bei den meisten Personaldienstleistern und Einsatzbetrieben bestehen schon umfassende, seit geraumer Zeit gelebte Hygiene- und Homeoffice-Konzepte mit getrennten Gruppen und/ oder rotierenden Anwesenheiten. Hier wird sich in der Praxis wenig ändern. Die Verordnung richtet sich an die Unternehmen, die ihre Möglichkeiten in der Pandemiebekämpfung noch nicht ausreichend genutzt haben. Die Anforderungen sind aber maßvoll und umsetzbar. Betriebe, die bisher die Möglichkeiten nicht genutzt haben, sind aber in der Pflicht, nun die notwendigen Möglichkeiten zu ergreifen. Es ist damit zu rechnen, dass die Corona-ArbSchVO über den 15.03.2021 verlängert wird, daher sind alle Unternehmen aufgefordert, die Maßnahmen nachhaltig umzusetzen.
Auch wenn Homeoffice das „New Normal“ ist, können viele Beschäftigte die Rückkehr zum „Old Normal“ kaum erwarten.
Bleibt gesund!
Über den Autor
Ass.jur. Eric Odenkirchen ist Fachbereichsleiter Arbeits- und Tarifrecht beim iGZ. Er studierte Rechtswissenschaft in Bonn und Münster. In seinem beruflichen Lebensweg bekleidete er verschiedene arbeitsrechtliche Positionen, u.a. im Einzelhandel und in der Logistik. Zuletzt war er verantwortlich für den Bereich Labour Law und People Professional bei einem internationalen Immobiliendienstleister.