50 Jahre AÜG: Ein Dauerprovisorium?

Ein Blogbeitrag von Werner Stolz

Vor 50 Jahren, am 11.10.1972, trat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Kraft, das zuvor einstimmig im Bundestag bzw. Bundesrat verabschiedet wurde. Willy Brandt war damals Bundeskanzler, Deutschland wurde in Brüssel Europameister und der Benzinpreis lag bei rund 0,57 DM (ca. 0,29 Euro). Zuvor gehörte die Arbeitsvermittlung ausschließlich zu den Aufgaben der Agentur für Arbeit (damals: Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung). Klassische Leih- bzw. Zeitarbeit, wie wir sie heute kennen, war also eigentlich verboten. Erst das Bundesverfassungsgericht hob das generelle Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland auf. Insoweit musste der Gesetzgeber Abhilfe schaffen und einen legalisierten Rahmen schaffen.

Begriffe stimmen nicht mit Sprachgebrauch überein

Dieser enthielt einen bis heute leider anhaltenden Geburtsfehler bei der Titulierung dieser Beschäftigungsform. Denn im damaligen Bundesgesetzblatt hieß es: „Der Arbeitgeber wird als Verleiher, der Dritte als Entleiher und der überlassene Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer bezeichnet. Diese Begriffe stimmen zwar nicht mit dem Sprachgebrauch des Bürgerlichen Gesetzbuchs überein, das unter Leihe nur die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Sache versteht. Der Begriff des Leiharbeitsverhältnisses hat sich jedoch inzwischen nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch in der arbeitsrechtlichen Literatur durchgesetzt. Deshalb erscheint es vertretbar, dem auch im Bereich dieses Gesetzes zu folgen und die anschaulichen Begriffe „Verleiher" usw. zu wählen.“ (Bundesgesetzblatt 1971, Drucksache VI/2303, S. 10).

AÜG als Dauerprovisorium

Bei der weiteren AÜG-Entwicklung drängt sich der Eindruck auf, das AÜG ist so etwas wie ein Dauerprovisorium. Denn es verging kaum eine Legislaturperiode, in der an den Regelungen nicht immer wieder geschraubt wurde. Mal hat man den Beteiligten etwas mehr Spielraum gelassen und mal die Schrauben fester angezogen. Hier bestanden über Jahre hinweg zwei polarisierte Haltungen: Während die CDU/CSU, FDP und die Arbeitgeberverbände die Zeitarbeit aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gründen schätzten und ihre Deregulierung befürworteten, sahen SPD, Bündnis ’90/die Grünen und Gewerkschaften in der Zeitarbeit eine Bedrohung für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmerschaft und zielten auf ihre Begrenzung und Kontrolle. Und die Linke plädiert sogar für ein generelles Verbot.

Konsistentes Leitbild fehlt

Stillstand gab es jedenfalls nie, weil ein konsistentes Leitbild der Branche über alle politischen und wirtschaftlichen Interessen hinweg bis heute offensichtlich immer noch fehlt. Dauer-Zankäpfel nebst vermeintlichen Neujustierungen sind die Streitthemen Höchstdauer der Überlassung (von 3 Monate auf 6, 9, 12, 24, unbegrenzt, 18 mit Tariföffnung), Equal Pay/Treatment -gesetzlich und/oder tariflich), Synchronisierung, Wiedereinstellungshürden, Befristungen, Kurzarbeit, sektorale Verbote).

Keine Planungssicherheit für Akteure

Dieser Zickzack-Kurs der unterschiedlichen Bundesregierungen signalisiert den Akteuren am Markt keine Planungssicherheit. Und auch bei der Rechtsprechung kann man nicht sicher sein, dass neue AÜG-Auslegungen neue Rätsel aufgeben. Etwa aktuell nach dem Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichtes an den Europäischen Gerichtshof, ob das deutsche Gesetz die Vorgaben der Europäischen Richtlinie zum „Gesamtschutz“ der Zeitarbeitskräfte eingehalten hat.

Tarifverträge zukunftsweisender

Zukunftsweisender als die zahlreichen gesetzlichen Aktivitäten ist der erfolgreiche Abschluss von zahlreichen Tarifverträgen in der Zeitarbeitsbranche - vor allem auch, weil hierdurch eine neue, anwachsende und häufig als prekär dargestellte Form der Beschäftigung sozialverträglich gestaltet wurde.

Evaluation für das Geburtstagskind

Viele Normen des AÜG sind wohl immer noch „vorübergehend“. Auch die letzte Reform 2017 steht erneut auf dem Prüfstand. Auf einer Fachveranstaltung im Bundesministerium für Arbeit und Soziales werden die Ergebnisse aus der Evaluation dieser vorgenommenen Gesetzesänderungen am 17.11.2022 in Berlin auch dem iGZ präsentiert und der Bericht wird dem Deutschen Bundestag zur Beratung zugeleitet. Man darf also gespannt sein, ob das Geburtstagskind dann in der Folge erneut neue Paragrafen geschenkt bekommen wird.

Über den Autor

Werner Stolz

Werner Stolz hat während seiner hauptamtlichen Tätigkeit beim iGZ seit Anfang 2001 den damaligen kleinen Verbund von mittelständischen Zeitarbeitsunternehmen zum mitgliederstärksten und professionell aufgestellten Arbeitgeberverband iGZ weiterentwickelt. Zuvor studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Münster sowie Volks- und Betriebswirtschaft an der Fernuniversität Hagen und arbeitete als selbstständiger Rechtsanwalt in einer Hammer OLG-Kanzlei und in Münsterschen Sozietäten.


E-Mail: stolz@ig-zeitarbeit.de

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